Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Anhörung statt, ein Jahr später erging das Urteil. Das Gremium unter Vorsitz des zwischenzeitlich pensionierten Präsidenten Aharon Barak traf keine Grundsatzentscheidung, in der es solche Anschläge durch die israelischen Streitkräfte erlaubte oder verbot, es entschied vielmehr, dass gezielte Tötungen von Zivilisten nur dann gerechtfertigt seien, wenn sie sich »direkt an Feindseligkeiten beteiligen«. Definitionsgemäß gelten auch »Terroristen« nach internationalem Rechtsverständnis als »Zivilisten«, weil sie keine militärische Uniform tragen.
Darüber hinaus legte der Supreme Court vier Bedingungen fest, die allesamt erfüllt sein müssen, um einen Anschlag auf das Leben einer Zielperson gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Sie unterschieden sich deutlich von den vier Kriterien der Militärjuristen aus dem April 2002:
1. Den ausführenden Einheiten einer gezielten Tötung obliegt die Bürde, die Identität der Zielperson und deren direkte Beteiligung an Feindseligkeiten zu verifizieren;
2. die ausführenden Einheiten dürfen eine Person nicht töten, wenn ihnen andere, weniger gravierende Möglichkeiten zur Verfügung stehen;
3. nach jedem Anschlag muss eine unabhängige Untersuchung der Identifizierung der Zielperson und der Umstände des Anschlags erfolgen;
4. alle kollateralen Schäden an Unbeteiligten müssen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit den Anforderungen des IHL (»International Humanitarian Law«) entsprechen.
Die Forderungen gingen den israelischen Militärs und Geheimdiensten offenbar viel zu weit, weil sie ihre Flexibilität beeinträchtigten und das gesamte Hinrichtungsverfahrenbürokratisierten. Zudem wollten sich die Terroristenjäger nicht in ihre Entscheidungsfindung hineinreden lassen. Israel habe auch später nie seine Richtlinien für gezielte Tötungen publik gemacht, kritisiert Philip G. Alston, australischer Völkerrechtler, der in New York lehrt und für die Vereinten Nationen im Jahre 2010 einen Bericht zu dem Thema verfasste. »Nach allen uns bekannt gewordenen Informationen« sei zweifelhaft, ob »das Vorgehen der IDF überhaupt mit den Bestimmungen des Supreme Courts in Einklang« stehe.
Natürlich trug die Entscheidung des Höchsten Gerichts der speziellen israelischen Situation und der Angst des Landes vor Terroranschlägen Rechnung. Aber das dreiköpfige Gremium unter Richter machte immerhin deutlich, dass es eine weitere Abkehr von den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und deren unvorhersehbaren Folgen für die Demokratie in Israel nicht akzeptiere. Einer derjenigen, die sich schon zehn Jahre zuvor kritisch zu Wort gemeldet hatten, war Haim Cohn, vormaliger israelischer Generalstaatsanwalt, Justizminister und ehrenwerter Richter am Supreme Court. In einem Interview aus dem Jahre 1997, also drei Jahre vor Beginn der Zweiten Intifada, beklagte er die Aufweichung rechtsstaatlicher Prinzipien durch geheime Mordprogramme. Ein Todesurteil könne nur von der Justiz ausgesprochen werden, es müsse durch mehrere Instanzen Bestand haben, jedem Angeklagten stehe das Recht auf Gehör und Verteidigung zu. »Wenn wir das Recht in unsere eigenen Hände nehmen und Menschen ohne Gerichtsverfahren exekutieren, ist das in jeder Hinsicht illegal! … In einer Demokratie rechtfertigt das Ziel nicht alle Mittel … Der Wert der Menschenwürde überwiegt das Sicherheitsbedürfnis des Staates.« Cohns Zwischenruf verhallte damals weitgehend ungehört.
Im selben Jahr wie der Supreme Court befassten sich auch zwei Brüder mit dem Thema gezielter Tötungen in Israel. AsafZussman, damals Wirtschaftsprofessor an der amerikanischen Cornell University (er wechselte später an die Hebrew University in Jerusalem), und sein Bruder Noam, seinerzeit in der Forschungsabteilung der Bank of Israel. Israel interessierte die zunächst etwas abwegig erscheinende akademische Frage, ob denn Hinrichtungen palästinensischer Terroristen überhaupt effektiv seien, wirtschaftlich effektiv. Der Terrorismus habe einen erheblichen Einfluss auf die ökonomische Entwicklung in Israel, deshalb sei es ein interessanter Ansatz, die Auswirkungen von Exekutionen an der Börse zu analysieren. Das Ergebnis war frappierend: Immer wenn hochrangige palästinensische Anführer ermordet worden waren, reagierte der Markt in der Erwartung eines reduzierten Konfliktpotentials mit steigenden, beim Tod eher unbedeutender Terroristen mit fallenden Kursen. Fazit des Brüderpaars: Hinrichtungen des terroristischen
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