Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
der Autobahn Nr. 20 im Norden von Tel Aviv die streng geheime Information ein, für den nächsten Tag sei ein Treffen von acht führenden Hamas-Terroristen geplant: Erwartet würden Bombenbauer, Sprengstoffexperten, Raketentechniker, alles, was Rang und Namen habe. »Das kann nicht sein«, kommt Avi Dichter spontan in denSinn, als er den Bericht liest, »warum sollten sie das riskieren?« Alle acht Namen nehmen Spitzenplätze auf der israelischen Todesliste ein – und alle acht wissen das, leben deshalb in gut geschützten Kellerräumen, bewegen sich nur während der Nacht, umgeben sich mit Kindern als Schutzschirm und benutzen aus Angst vor Sprengstoffattentaten selten Autos und nie Mobiltelefone. Und hier wollen sie sich am helllichten Tage zu einer Konferenz treffen?
Dichter ruft Generalstabschef Yaalon an, der konferiert kurz mit dem Verteidigungsminister und mit Premierminister Ariel Sharon. Innerhalb einer halben Stunde ist die Genehmigung für eine Operation erteilt, falls sich die Informationen bestätigen lassen. Unterdessen setzt der Geheimdienstchef alle Kräfte seines gigantischen Apparats in Bewegung, die elektronischen Lauscher im Äther werden aufgestellt, Observationsdrohnen in die Luft gebracht und palästinensische Spitzel aktiviert. Um die Mittagszeit weiß Dichter, dass der Terrorgipfel tatsächlich stattfinden soll, und er weiß auch, wo: im dreistöckigen Privathaus des Religionsprofessors und Hamas-Aktivisten Marwan Abu Ras. Sofort danach laufen die Vorbereitungen bei der Luftwaffe an, Codewort »Operation Automatic Gear«.
Am nächsten Morgen, dem Tag des geplanten Treffens, lässt sich Avi Dichter schon früh in den war room bringen, die fensterlose Kommandozentrale des Shin Bet. Seine Experten haben erste Computeranalysen über die Beschaffenheit des Gebäudes durchgeführt, Zahl der Stockwerke, Größe der Zimmer, Dicke der Wände. Damit soll sich die notwendige Sprengkraft der Bombe besser taxieren lassen. Dichter und Yaalon wissen, es muss diesmal einen präzisen, chirurgischen Schnitt geben. Nicht auszudenken, wenn wieder so ein verheerender Kollateralschaden zu beklagen wäre wie bei der Exekution von Salah Shehade 14 Monate zuvor.
Inzwischen kreisen sechs Kampfflugzeuge F-16 vor derKüste des Gaza-Streifens, alle mit Bomben unterschiedlicher Größe bewaffnet. Im war room gehen Live-Aufnahmen einer Überwachungsdrohne ein, die so hoch über dem Haus von Abu Ras kreist, dass sie vom Boden aus mit bloßem Auge nicht zu sehen ist. Nach und nach treffen die Hamas-Führer ein, alle zu Fuß; einige, die mit dem Auto gekommen sind, parken in einiger Entfernung. Obwohl die Kamera der Drohne dicht heranzoomt und gestochen scharfe Bilder liefert, sind die Männer nicht leicht zu identifizieren. Sie hüllen ihre Gesichter in keffiyehs und verstecken ihre Gestalten unter wallenden Gewändern. Aber der Shin Bet habe dennoch alle identifiziert, erinnert sich Moshe Yaalon. Er weiß noch, wie nacheinander die Bestätigungen eingingen: »Hier kommt Mohammed Deif, das ist Adnan al-Ghoul, und der da ist Ismail Haniyeh«. Und dann wurden ihre Portraits gezeigt und Fotos ihrer Anschläge: explodierte Busse und in die Luft gejagte Diskotheken. Als letzter Teilnehmer wird ein Mann in einem weißen Transporter direkt vor das Haus gefahren. In der Kommandozentrale können sie auf ihren Bildschirmen sehen, wie Helfer ihn behutsam aus dem Wagen heben, in einen Rollstuhl setzen und ins Haus schieben: Es ist der querschnittgelähmte Ahmad Yassin, Gründer und spiritueller Anführer der Hamas. Den Scheich, Deckname »Kadaver« (»the carcass«), hatte die israelische Regierung sechs Jahre zuvor auf jordanischen Druck hin aus der Gefangenschaft entlassen müssen, nachdem eine geplante Hinrichtung des Mossad in Amman völlig aus dem Ruder gelaufen war (siehe S. 260). Mit dem »Kadaver« gab es also noch eine besondere Rechnung zu begleichen.
»Alles bereit?«, fragt Yaalon seinen Luftwaffenkommandeur Dan Halutz über eine Standleitung. Es gebe da ein Problem, antwortet der, eine Bombe mit fünfhundert Kilo sei wahrscheinlich zu klein, die mit einer Tonne Sprengstoff vermutlich zu groß. Mit ihr bestehe das Risiko, dass auch die Nachbarhäuser und die dort lebenden Familien in Mitleidenschaft gezogen würden. Moshe Yaalon ist irritiert, er habe gedacht, das Problem sei längst geklärt, will die »Operation Automatic Gear« sofort abblasen. Augenblicklich geraten er und Avi Dichter in einen heftigen Streit. Der
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