Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Top-Personals sind effektiv, Liquidierungen von Handlangern eher kontraproduktiv.
Wo juristische oder ökonomische Argumente nicht mehr greifen, um Hinrichtungen durch Militär und Geheimdienste zu rechtfertigen, bleibt immer noch der Verweis auf die Bibel. Es gebe dort eine Stelle, die vorsorgliche Gewalt legitimiere, versichern immer wieder die Befürworter außergerichtlicher Exekutionen. Es ist eine Stelle im Alten Testament, in der es sinngemäß heiße: »Wenn du erfährst, das jemand auf dem Weg ist, dir das Leben zu nehmen, komme ihm zuvor und töte ihn.« Der israelische Philosophieprofessor Asa Kasher hält den Verweis auf diese Stelle in der Bibel für unsinnig. »Wenn jemand die Absicht hat, mich zu töten, gibt mir das noch lange nicht das Recht, ihn zu ermorden«, erwidert Kasher, das gelte nur, »wenn ich mich nicht anders verteidigen kann«.
Auf offener Straße – der Fall Halim
»Es war eine Hinrichtung! Der Mann lag wehrlos am Boden, sie hätten ihn ohne Probleme festnehmen können!«
Samer Burnat, Augenzeuge einer israelischen Exekution in der Innenstadt von Ramallah 2007
»Der Militär- und der Inlandsgeheimdienst Shin Bet sind nach meinem Gefühl manchmal zu schießwütig! Es gab mehr als einen Fall, der mit einer Festnahme zu beenden gewesen wäre anstatt mit einem Sarg. Sie sollten nicht so leichtfertig mit dem Leben anderer umgehen! Auch wer ein Terrorist ist, hat das Recht, festgenommen, angeklagt und vom Gericht bestraft zu werden, anstatt durch ein Neunmillimeter-Geschoss!«
Gad Shimron, ehemaliger Mossad-Agent
29. Mai 2007. Es ist ein heißer Tag in Ramallah, der palästinensischen Metropole, dem Sitz des palästinensischen Präsidenten und seiner Regierung, keine dreißig Kilometer von der Jerusalemer Altstadt entfernt. Wie immer quält sich eine notorisch hupende Fahrzeugkarawane durch die enge Innenstadt, Fußgänger wieseln zwischen den Autos, als würden sie mit dem Blech um das Vorrecht auf der Straße kämpfen. Sam Bahour, Sohn eines palästinensischen Vaters und einer amerikanischen Mutter, der lange in den USA gelebt hat, aber vor Jahren schon nach Palästina zurückgekehrt ist, um hier als Computerfachmann zu arbeiten, hat eine Besprechung im dritten Geschoss oberhalb des Restaurants al-Nassrah. Das ist bekannt für seine ausgezeichneten Falafels und liegt an einer sehr belebten Kreuzung, auch deshalb herrscht hier den ganzen Tag über Hochbetrieb. Bahour engagiert sich neben seinem Beruf für die palästinensische Menschenrechtsorganisation Mattin Group , die vor allem die Zusammenarbeit der EU mit der Besatzungsmacht Israel kritisch unter die Lupe nimmt. Am Tisch sitzen an diesem Nachmittag eine Handvoll Aktivisten, darunter zwei junge Italienerinnen, die das erste Mal in Ramallah sind.
Es ist 17.30 Uhr, als die Sitzung von lautem Sirenengeheul gestört wird, draußen auf der Straße, direkt unterhalb ihres Fensters. Es klingt nach einem israelischen Militärkommando. Wahrscheinlich sind wieder einmal Soldaten der Armee oder Spezialkräfte der Grenzpolizei Magav für eine Verhaftung nach Ramallah eingefallen, denkt Bahour. Er versucht, die Gäste aus Europa, die etwas verunsichert wirken, mit einem Scherz zu beunruhigen: Die Israelis kämen wohl, um sich bei ihnen über Menschenrechte zu informieren. Dann riskiert er aber doch einen Blick aus dem Fenster, die anderen folgen ihm. Sie sehen, dass die Kreuzung komplett von gepanzerten Fahrzeugen abgeriegelt wurde, selbst ein palästinensischer Krankenwagen mit Blaulicht wird nicht durchgelassen. Dann werfen die Israelis Nebelkerzen, deren Schwaden über den Asphalt wabern, Einsatzkräfte mit automatischen Waffen im Anschlag verschanzen sich hinter parkenden Autos. Schräg gegenüber steht ein weißer Lieferwagen mit palästinensischem Kennzeichen. »Plötzlich öffnete sich dessen Seitentür«, erinnert sich Bahour, »bewaffnete Männer in arabischer Kleidung sprangen heraus und verschwanden aus unserem Blickfeld«. Es sind Agenten der Magav-Antiterroreinheit Jamam.
An der Kreuzung steht zur selben Zeit Samer Burnat mit seinem gelben Taxi hinter dem Lieferwagen. Er hat Fahrgäste im Wagen, die zum Busbahnhof wollen und es eilig haben. Burnat hupt, um die Schlange vor sich anzutreiben, doch der Transporter bewegt sich nicht von der Stelle. Dann sieht er, dass die Straße gesperrt wurde. Fast gleichzeitig fällt sein Blick auf zwei Palästinenser, die vor dem Restaurant stehen und sich unterhalten, beide halten Pappbecher
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