Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
ihren 16-jährigen Bruder Fritz mitnahm, und … bestiegen … am Bahnhof Schönhauser Allee die S-Bahn und fuhren unkontrolliert bis zu dem in West-Berlin liegenden Bahnhof Gesundbrunnen« (der Bundesgerichtshof in seinem Urteil 9 StE 4/62 vom 19. Oktober 1962).
Am 13. August 1961, nur wenige Stunden, bevor die Arbeitstrupps ausrückten, um die Berliner Mauer zu errichten, suchte Staschinski ein West-Berliner Polizeirevier auf und gestand den verdutzten Beamten seine beiden im KGB-Auftrag begangenen Münchner Morde. Er wollte jetzt reinen Tisch machen. Am 1. September 1961 wurde er in Untersuchungshaft genommen.
Ein Jahr später landete das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Eigentlich war der Fall klar: Es gab zwei Opfer eines Kapitalverbrechens – und es gab einen geständigen Täter. Dafür sah das Gesetz lebenslanges Zuchthaus vor. Doch die Richter des 3. Strafsenats wollten mehr, sie suchten nach mildernden Umständen für Bogdan Staschinski. Wer sich an den damals oft sehr autoritären und harschen Tonfall vor Gericht und in den Urteilen jener Jahre erinnert, konnte in dem Verfahren gegen den KGB-Mörder, der seine Taten bereute und sich der Justiz gestellt hatte, eine ungewohnte Sensibilität erkennen. Die Kammer suchte und fand am Ende einen Weg zu einem gerechten Urteil, das ihr freilich später auch Kritik eintragen sollte, das aber in die deutsche Rechtsgeschichte einging. Zwar habe der Täter beide Tötungshandlungen »von eigener Hand« begangen, er sei auch nicht psychisch fremdgesteuert, aber er habe keinen eigenen Täterwillen besessen. Er habe vielmehr Beihilfe zu einer fremden Tat geleistet, nämlich einer Tat der sowjetischen Geheimdienstführung. Er könne deshalb als Täter gelten, »die solche Verbrechensbefehle missbilligen und ihnen widerstreben, sie aber gleichwohl aus menschlicher Schwäche ausführen, weil sie der Übermacht der Staatsautorität nicht gewachsen sind …«, urteilten seine Richter.
Bogdan Staschinski wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und wegen guter Führung vor Ablauf der Zeit aus der Haft entlassen. Er bekam eine neue Identität, weil er als Überläufer und Verräter nunmehr zur Zielperson seiner alten Kollegen geworden war. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.
Picadilly – der Fall Markow
»Ich bin in diesem Land aufgewachsen. Ich kann nicht glauben, dass es Leute gibt, die andere Menschen mit Regenschirmen töten!«
Annabelle Markow, Witwe des in London ermordeten Schriftstellers Georgi Markow
Es mutete wie ein Plot aus einem billigen Spionagethriller an – und war doch hohe Schule anspruchsvollster Geheimdienstarbeit. Eine der Grundregeln dieses Gewerbes lautete: Die Methode muss sich nach den örtlichen Umständen richten. Und die Umstände am potentiellen Tatort würden ziemlich sicher lausig sein: London, im Frühherbst, es regnete oder konnte jederzeit regnen, alle Welt war mit einem Regenschirm unterwegs.
Am 7. September 1978 steht Georgi Markow, ein 49-jähriger regimekritischer bulgarischer Autor, der beim BBC World Service arbeitet, an einer Haltestelle nahe der Waterloo Bridge und wartet auf den nächsten Bus. Plötzlich durchzuckt ein stechender Schmerz seine rechte Wade, er sieht einen Mann mit Regenschirm vorbeihasten, der noch mit ausländischem Akzent eine Entschuldigung murmelt, über die Straße hetzt und dann ein Taxi heranwinkt. Eine alltägliche Szene im miesen Londoner Wetter. Markow misst dem Vorfall deshalb zunächst keine Bedeutung bei, eine Ungeschicklichkeit, denkt er, mehr nicht.
In seiner Wade steckt, wie sich später herausstellen wird, eine winzige Kapsel, die zu neunzig Prozent aus Platin und zu zehn Prozent aus Iridium besteht, zwei seltenen Edelmetallen; sie wurde mit Hilfe eines in den Schirm eingebauten Druckluftzylinders aus dessen Spitze völlig lautlos abgeschossen. Die kaum zwei Millimeter große Kugel ist mit dem biologischen Toxin Rizin gefüllt; sie verfügt über zwei winzige Löcher, die mit einer zuckerähnlichen Substanz verklebtsind; diese Abdichtungsmasse schmilzt bei exakt 37 Grad, also Körpertemperatur, sodass die Kapsel danach den tödlichen Wirkstoff in den Körper absondert. Gegen Rizin gibt es bis heute kein Gegengift. Soweit die naturwissenschaftlichen Fakten, die später von Scotland Yard ermittelt werden. Als Markow an seinem Arbeitsplatz eintrifft, hat der Schmerz inzwischen das gesamte Bein erfasst. Der Schriftsteller erzählt einem Kollegen von dem seltsamen
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