Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
DDR-Ministerpräsident Willi Stoph, ein »roter« Preuße mit festen Prinzipien, ein von der Stasi geplantes Kapitalverbrechen zu torpedieren. Er wählte dafür den Umweg über Bonn, weil er befürchten musste, dass ein Versuch, den mächtigen Stasi-Chef durch Intervention bei Staats- und Parteichef Erich Honecker zu stoppen, wenig Erfolgsaussichten besaß. Angeblich ließ er per Kurier dem damaligen Staatssekretär im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen, Dietrich Spangenberg, eine dringende Bitte zukommen: Die Behörden sollten für größtmöglichen Schutz des DDR-Flüchtlings Werner Weinhold sorgen, der stehe auf einer »Abschussliste« des MfS. Stoph ging in seiner vertraulichen Botschaft für den Klassenfeind sogar noch weiter: Es sei bereits ein Killerkommando unterwegs, um den ehemaligen Soldaten der Nationalen Volksarmee durch einen »inszenierten Unfall« zu ermorden. »Mit der Mord-Aktion wolle das MfS potentielle Überläufer aus den Reihen der Grenztruppen abschrecken«, berichtete Der Spiegel ein Jahrzehnt später über die ungewöhnliche Maßnahme des DDR-Ministerpräsidenten.
Der mehrfach vorbestrafte NVA-Deserteur Werner Weinhold hatte sich am 19. Dezember 1975 nördlich von Coburg über die Grenze abgesetzt und dabei zwei blutjunge DDR-Grenzsoldaten mit einer Salve aus seiner Maschinenpistole getötet. Er fuhr zu Verwandten nach Marl, wurde dort verhaftet, nachdem die Umstände seiner Flucht von den DDR-Behörden publik gemacht worden waren. Als das Schwurgericht Essen ihn vom Vorwurf des zweifachen Totschlags freisprach, weil die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichten, brach in der DDR ein Sturm der Entrüstung los.Nach einem Votum des Bundesgerichtshofes wurde das Verfahren neu aufgerollt und Weinhold im Oktober 1978 zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es gab keine Zweifel mehr, dass der ehemalige NVA-Soldat »nicht im Recht war, als er schoss«, wie es im neuerlichen Urteil hieß, die von ihm reklamierte Notwehrsituation existierte nicht, weil er den beiden Opfern gar keine Zeit gelassen hatte, zu ihren Waffen zu greifen.
Wegen guter Führung kam Weinhold im Juli 1982 auf freien Fuß. Er war in den letzten Monaten seiner Haftzeit noch mehrfach verlegt worden, weil es wiederholt Morddrohungen gegen ihn gegeben hatte. Sogar eine Entführung aus dem Gefängnis im sauerländischen Attendorn war geplant. Ein Mitgefangener offenbarte sich der Polizei, er sei von der Bonner DDR-Vertretung zur Mithilfe bei der Operation ermutigt worden. Das »Kopfgeld« für Weinhold wurde von zunächst 100000 Mark auf eine Million erhöht. Für die Zeit nach seiner Entlassung hatte das MfS schon neue Pläne geschmiedet: ein Verkehrsunfall, wie von Stoph angedeutet, oder vielleicht ein Absturz bei einem Bergspaziergang während eines Urlaubs in den österreichischen Alpen. Weinhold überlebte die ersten Jahre in Freiheit, aber das Ministerium für Staatssicherheit erneuerte immer wieder seine Exekutionspläne gegen den Mann, den sie »Terrorist« nannten. Im Mai 1985 wurde zum wiederholten Male von der Hauptabteilung 1 eine »Realisierungskonzeption des Operativvorgangs ›Terrorist‹« erarbeitet. Auf elf Seiten spielte das MfS drei verschiedene Mordpläne durch: »Zwei Genossen aus dem Bereich der HA 1« sowie »zwei operative Mitarbeiter« sollten Weinhold in ihre Gewalt bringen und dann ermorden: »1. Habhaft werden des ›Terrorist‹ und Vortäuschung eines Selbstmordes unter Nutzung der in unmittelbarer Nähe des Anmarschweges Wohnung – Arbeitsstelle gelegenen Gleisanlage des S-Bahn-Nahverkehrs Rhein-Ruhr (Gleiskörper oder Stromfalle durch Ausnutzung des elektrifizierten Streckennetzes); 2. … durch Erschießen mittels einer Handfeuerwaffe Beretta schallgedämpft – auf dem Anmarschweg Wohnung–Arbeitsstelle und nachfolgende Beseitigung von Spuren … 3 …. durch Vortäuschung eines Raubüberfalls …«.
Werner Weinhold überlebte alle Mordkomplotte. Nachsatz zu seiner Lebensgeschichte: Am 8. Januar 2005 schoss er in seiner Marler Stammkneipe »Bierkiste« zweimal auf einen Bekannten und verletzte ihn schwer. Das Landgericht Essen verurteilte ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu zweieinhalb Jahren Haft.
Mordpläne schmiedete die Staatssicherheit immer wieder auch gegen einen Mann aus den eigenen Reihen, den im Januar 1979 über den Bahnhof Friedrichstraße geflüchteten MfS-Offizier Werner Stiller. Mit seinen Aussagen und durch die Angaben in
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