Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
aussenden will. Das Observationsteam habe »hochentwickelte Techniken« benutzt, teilt er den Medienvertretern mit, damit sei al-Mabhouh nach seiner Ankunft auf dem internationalen Flughafen bis zum Al Bustan Rotana verfolgt worden. Insgesamt deute sehr viel auf einen Anschlag des Mossad hin. Tamim genießt seinen Auftritt, setzt kunstvolle Pausen, präsentiert am Ende sogar einen Videomitschnitt zur Tat. Er hat 2007 einen aufsehenerregenden Raub bei einem Juwelier in der Wafi Mall aufgeklärt, er hat 2008 den Mörder der libanesischen Actrice überführt, er hat 2009 das Gewaltverbrechen an dem tschetschenischen Warlord erfolgreich zum Abschluss gebracht – aber dies hier ist die Krönung seiner Karriere, sein Triumphzug. Die ausländische Presse lobt seinen Mut und seine Entschlossenheit, die Fernsehsender in den Emiraten bringen Sondersendungen am laufenden Band.
Im amerikanischen Konsulat in Dubai indes reibt man sich verwundert die Augen: »Die Veröffentlichung der Ergebnisse so sensibler Ermittlungen kam überraschend, angesichts der sonstigen Praxis, alle sicherheitsrelevanten Informationen vor der Öffentlichkeit zu schützen«, kabelte ein US-Diplomat am 17. Februar an das State Department in Washington. »Ihre Motivation ist unklar«, und er frage sich, »was sie als nächstes vorhaben«. Einen Tag später erscheinen auf der Internetseite von Interpol auf Antrag der Emirate internationale Haftbefehle ( red notice ) für die ersten elf Personen, die mit falschen Pässen eingereist und an dem Mord an al-Mabhouh beteiligt waren.
Auch in der verbotenen Stadt in Herzliya sind inzwischen sämtliche Alarmlampen auf Rot gesprungen. Aus der leisen Exekution ist ein »lauter hit « geworden. Der Mossad hat die Fähigkeiten des Polizeichefs Tamim und des ihm zuarbeitenden Directorate for Security ebenso unterschätzt wie die Abneigung des Herrschers, wieder einmal alles unter den diplomatischen Teppich zu kehren. Im Gegenteil: Jetzt hängt er alles an die große Glocke.
Und Tamim macht mit unverändertem Eifer weiter. Ihm kommt dabei zu Hilfe, dass Dubai gleichsam ein Überwachungsstadtstaat par excellence ist, eine Niederlassung des »Großen Bruders«. Alle Angaben der Kreditkartenfirmen, der Telefongesellschaften, der Autoverleiher werden geprüft und verknüpft, Videokameras gibt es ohnehin überall, in Hotels, auf öffentlichen Plätzen, in Einkaufszentren, entlang der Schnellstraßen. Gesichter und Nummernschilder können gescannt und ausgewertet werden. Es ist selbst Agenten einer israelischen Spezialeinheit unter solchen Umständen unmöglich, keine Spuren zu hinterlassen.
Und manchmal hilft auch »Kommissar Zufall«: Eine Überwachungskamera vor einem Hotel hat die Spiegelung eines weißen Kleinbusses mit abgedunkelten Scheiben im Eingangsbereich eingefangen, auf den gerade mehrere Agenten zustreben, dann aber abrupt abstoppen. Das veranlasst die Ermittler zu der These, einer der Komplizen könnte womöglich mit einem sehr ähnlichen Fahrzeug unterwegs sein. Sie überprüfen daraufhin alle Autoverleiher, mit dem Ergebnis, dass ein ganz ähnlicher weißer Minivan von einem Christopher Lockwood angemietet worden ist. Der Engländer passt zunächst nicht ins Schema: Er reist mit einemechten britischen Pass, und er ist mit 61 Jahren viel älter als die anderen Verdächtigen – und vielleicht auch zu alt für einen nervenaufreibenden Spionagejob. Doch dann fördert ein Datenabgleich zutage, dass Lockwood im Jahre 2008 einen blauen Mercedes Kombi mit der damals noch existierenden Autofähre von Sharjah in den Iran überführt hat. Rückfragen bei den britischen Behörden ergeben, dass der Wagen später wieder nach England zurückgebracht wurde und seitdem verschwunden ist. Und als die Polizeibeamten dem Vertreter der iranischen Valfajr Shipping Lines in Dubai ein Foto von Lockwood vorlegen, glaubt der, es könnte sich dabei um den Mann gehandelt haben, der die Tickets für das australische Agentenpärchen Adam Korman und Nicole McCabe gekauft hat, als die beiden im August 2009 mit dem Katamaran nach Bandar Abbas übersetzten (siehe S. 105).
Noch aufregender werden die Ermittlungen, als sich herausstellt, dass der Engländer im Jahre 1994 eine Namensänderung bei den britischen Behörden beantragt hatte und auch genehmigt bekam: Christopher Lockwood hieß eigentlich Yehuda Lustig, wurde am 23. Februar 1948 als Sohn eines jüdischen Auswanderers in Palästina geboren, das damals unter britischer Kontrolle
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