Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Schweizern verwanzt worden. Durch die Gänge eilen Polizisten, die ihre Uniform vorübergehend gegen eine Livree eingetauscht haben. In den Nebenstraßen des Hotels wartet ein Großaufgebot von zivilen Polizeifahrzeugen auf die Ankunft des mysteriösen Anrufers, der pünktlich in Begleitung eines zweiten Mannes auftaucht.
Mehr als vier Stunden dauert das Treffen, jedes Wort wird heimlich mitgeschnitten. Joklik und Ben Gal, der eigentlich Baruch Presher heißt und Mossad-Offizier ist, setzen die Geschwister erneut massiv unter Druck. Sie sollen ihren Vater überzeugen, seine Tätigkeit in Ägypten aufzugeben, anderenfalls werde ihm »etwas passieren«. Die Kinder verstehen dies als unverhohlene Morddrohung – und so ist es auch gemeint. Als Joklik und Ben Gal das Drei Könige verlassen, folgen ihnen diskret mehrere Schweizer Kriminalbeamte. Die beiden Agenten nehmen einen Schnellzug nach Zürich, wo sie sich an jenem Abend noch auf einem Maskenball vergnügen und dort konspirativ einen weiteren Mossad-Kämpfer treffen, den in Deutschland geborenen Josef Reismann alias Joe Ra‘anan. Er ist Isser Harels Operationschef in der Bundesrepublik. Observation und Gegenobservation: Nach dem Fest in Zürich muss Reismann hilflos mit ansehen, wie seine Leute von der Kantonspolizei verhaftet werden. Er informiert sofort Harel in Paris.
Das Freiburger Amtsgericht erlässt Haftbefehl gegen Joklik und Ben Gal wegen versuchten Mordes, ein Auslieferungsersuchen der Staatsanwaltschaft an die Schweiz ist in Vorbereitung. Damit wird für den Mossad-Boss der Boden in Europa endgültig zu heiß. Am 8. März 1963 fliegt Harel zurück nach Tel Aviv, um Regierungschef David Ben-Gurion zu beichten, dass es bei der »Operation Damokles« leider einen Rückschlag gegeben habe.
Isser Harel hatte nach dem Anschlag auf Adenauer, an dem der Mossad allerdings nur am Rande beteiligt gewesen war, den Ruf zum Direktor des Auslandsgeheimdienstes erhalten, zum Memunen. Harel wurde 1912 im russischen Witebsk als Isser Halperin in eine wohlhabende Essigdynastie geboren, die Familie verlor nach der Oktoberrevolution jedoch ihren gesamten Besitz und wanderte verarmt nach Lettland aus. Mit 18 Jahren ging er nach Palästina, schloss sich im Unabhängigkeitskrieg der israelischen Untergrundarmee Hagana an und leitete ab 1942 deren Nachrichtendienst. Als zweiter »Memune« in der Geschichte des Mossad rekrutierte Harel Mitte der fünfziger Jahre eine Reihe von prominenten Figuren aus jüdischen Terrororganisationen, die alle gegen die britischen Besatzer gekämpft hatten: aus der Hagana, aus der radikalen Irgun (darunter den Sprengstoffexperten Elieser Sudit) oder aus der noch radikaleren »Gang« des Abraham Stern, die sich aus der Irgun abgespalten hatte, darunter den späteren Premierminister Yitzhak Shamir. Shamir erhielt 1956 den Auftrag, unter diplomatischem Deckmantel von Paris aus eine Gruppe von Agenten für ad hoc -Operationen aufzubauen, die auch für Anschläge und Exekutionen verantwortlich sein sollte.
Für den Job verpflichtete Shamir eine Reihe erfahrener »Stern-Gangster«, allesamt skrupellose Kämpfer, die das Handwerk des Tötens beherrschten. Harel waren viele dieser willfährigen Killer eher suspekt, er traute ihnen nicht über den Weg, ließ sie deshalb außerhalb Israels stationieren; er brauchte sie zwar, um ausländische Staatsfeinde zu liquidieren, wollte aber unter allen Umständen verhindern, dass sie als Gruppe ein Eigenleben in Israel führen konnten. Gezieltes Töten war Ben-Gurion ein verhasster Gedanke, er stellte diese Option gleichwohl nicht in Frage, solange es sich um Exekutionen handelte, die er selbst sanktioniert hatte. Alleingänge wie die eigenmächtige Ermordung des arabischenDoppelagenten Ali Qassem durch den Chef des israelischen Militärgeheimdienstes im November 1948 oder das Adenauer-Attentat durch Parteimitglieder der Cherut 1952 stießen dagegen auf seinen heftigen Widerstand.
Im Juli 1956 kam es zu den ersten beiden außergesetzlichen Hinrichtungen des noch jungen Staates Israels: Der damalige Chef des Militärgeheimdienstes, Brigadegeneral Yehoshafat Harkabi, wollte etwas gegen die aus den feindlich gesinnten arabischen Nachbarstaaten Ägypten und Jordanien nach Israel einsickernden palästinensischen Kämpfer unternehmen. Er hatte deshalb Ben-Gurion gleich zu Jahresanfang empfohlen, den Terrororganisationen die Köpfe abzuschlagen, um ein Zeichen zu setzen. Sechs Monate dauerte die Entscheidungsfindung
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