Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
diplomatische Geplänkel gehörte bald der Vergangenheit an. Es sollte auch keineswegs der letzte Fall sein, bei dembritische Pässe für eine Exekution des Mossad verwendet wurden.
Nach seiner Rückkehr nach Tel Aviv gab Mike Harari ein großes Fest, in dessen Mittelpunkt natürlich Erika Chambers stand. Sie legte ihre britische Identität nunmehr vollständig ab und schlüpfte wieder in ihre israelische Identität als Ruth Alloni zurück; es ist davon auszugehen, dass sie später auch diesen Namen gegen einen dritten eintauschte, um Spuren zu verwischen. Sie verabschiedete sich nach Salamehs Tod ebenso ins Privatleben wie ihr Boss Harari. Für ihn bedeutete die erfolgreiche Mission gegen den »roten Prinzen« eine Genugtuung – und den krönenden Abschluss seiner Karriere als Kidon- und Caesarea-Chef. Ahmed Bouchiki in Lillehammer war endlich vergessen.
Der Wissenschaftler und die Prostituierte – der Fall Meshad
«Der Mossad exekutiert keine Leute, es sei denn, sie haben Blut an den Händen. Dieser Mann würde das Blut israelischer Kinder an den Händen haben, falls er sein Projekt vollenden würde. Warum also warten?«
Victor Ostrovsky, ehemaliger Caesarea-Agent
Die Blondine trug enge Hosen und ein Oberteil, das wenig verbarg und viel erahnen ließ. Jeden Morgen stand sie an der Haltestelle in Villejuif, einem der südlichen Vororte von Paris, immer kam, kurz bevor der Regionalbus RATP eintraf, ein schneller Ferrari angeprescht, bremste scharf und gabelte die attraktive Frau auf. Kein Wunder, dachte Butrus Ibn Halim neidisch, dass sie einen reichen Verehrer hat. Als er seinen eigenen Bus bestieg, der stets unmittelbar nach dem RATP eintraf, hing er noch phantasievollen Gedanken über das schöne Mädchen nach.
Alles lief unter strengster Geheimhaltung, damals im August 1978. In Tuwaitha, in der Nähe von Bagdad, ließ Saddam Hussein sein erstes Atomkraftwerk bauen. Die französische Regierung hatte Jahre zuvor einen Liefervertrag mit dem Irak abgeschlossen, gegen alle Bedenken amerikanischer und vor allem israelischer Sicherheitsexperten. Deren Befürchtung: Sollte der skrupellose und völlig unberechenbare irakische Diktator tatsächlich den ebenfalls von Frankreich zugesagten Uranbrennstoff erhalten, wäre er in der Lage, eine Handvoll Atombomben zu produzieren und damit Israel zu bedrohen oder gar zu vernichten.
Die französische Leitstelle für den irakischen Reaktor befand sich in Sarcelles nördlich von Paris, und Butrus Ibn Halim war einer der an dem Projekt beteiligten irakischen Wissenschaftler. Seine Geheimdienstleute hatten ihm eingebleut, lange und wechselnde Umwege mit der Metro in Kauf zu nehmen, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Nur Ausgangs- und Endpunkt seiner täglichen Wegstrecke seien unverrückbar: die Busstation in Villejuif, in deren Nähe Halim wohnte, und die Büros in Sarcelles.
Eines Tages traf der RATP vor dem Ferrari ein. Die attraktive Blondine hielt demonstrativ Ausschau nach ihrem Chauffeur, zuckte leicht mit den Schultern und gab sich dann scheinbar ihrem Schicksal hin, diesmal auf die flotte Mitfahrgelegenheit verzichten zu müssen. Nur wenige Augenblicke nachdem ihr Bus abgefahren war, bog der Ferrari mit quietschenden Reifen um die Ecke, der Fahrer bremste scharf und schaute sich suchend nach seiner allmorgendlichen Begleiterin um. Halim schmunzelte, rief ihm dann zu, sie habe den Bus genommen, worauf der Mann irritiert entgegnete, er sei Engländer, spreche leider kein Französisch, sodass Halim das Ganze noch einmal auf Englisch wiederholen musste. Nun lachte der Mann und bot dem freundlichen irakischen Atomforscher zum Dank an, ihn ein Stückmitzunehmen. Warum nicht, dachte Halim arglos. Gegen alle geheimdienstlichen Anweisungen sprang er in den teuren Flitzer und lehnte sich im Sitz zurück. »Der Fisch hatte den Haken geschluckt«, schreibt der ehemalige israelische Agent Victor Ostrovsky in seinem Bestseller »Der Mossad«. Seine Darstellung des »Falls Halim«, der bald auch ein »Fall Meshad« werden sollte, dürfte auf intime Kenntnisse der damaligen Ereignisse in Paris zurückzuführen sein. Wie schon bei den Strellas am Flughafen von Rom (siehe S. 223).
Schon ein Jahr zuvor hatte der Mossad davon erfahren, dass Frankreich mit dem Irak einen Vertrag über die Lieferung eines Atomkraftwerkes abgeschlossen hatte, der auch den technischen Beistand bei der Beschickung des Reaktors mit Brennstäben umfasste. Praktisch gleichzeitig begann die israelische
Weitere Kostenlose Bücher