Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Mossad-Agenten mit den kanadischen Pässen die Todesstrafe, und das würde eine diplomatische Eiszeit oder gar einen Militärkonflikt heraufbeschwören.
Benjamin Netanjahu verbringt die Nacht nach dem Anschlag im Mossad-Hauptquartier in Herzliya, um die Krise zu bewältigen. Die Forderungen aus Amman sind unmissverständlich: Gebt uns das Gegengift, um Khaled Meshal zu retten! Doch darauf will sich der israelische Regierungschef nicht einlassen, es wäre eine Schmach und eine geradezu vernichtende Niederlage in seiner noch kurzen Amtszeit.
Am nächsten Tag, es ist der 26. September, Meshals Zustand ist unverändert kritisch, ruft König Hussein im Weißen Haus an, um Bill Clinton zu ersuchen, den Druck auf die Israelis zu erhöhen. Inzwischen hat sich der Preis der Jordanier für die Freilassung der in Amman festsitzenden Agenten erhöht: Netanjahu soll nicht nur das Antidot übergeben, er soll auch eine Anzahl palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freilassen. Es ist eine weitere Ohrfeige für Netanjahu, doch Clinton in Washington drängt seinen israelischen Kollegen, der Vereinbarung zuzustimmen. Hat er eine andere Wahl?
Da waren sie noch Freunde: Der israelische Premierminister Yitzhak Rabin stellt König Hussein von Jordanien General Dany Yatom vor, der nach Rabins Tod zum Mossad-Chef avancierte und dann das Desaster von Amman zu verantworten hatte.
Mishka Ben-David und die Mossad-Ärztin in seiner Begleitung halten sich noch immer, als Pärchen auf Kurzurlaub getarnt, im Hotel Intercontinental auf. Sie sind noch nicht aufgeflogen. Ben-David trägt die Ampulle mit dem Gegengift namens Naloxon bei sich. »Die ganze Zeit über lief ich mit dem Antidot herum, das ja eigentlich nicht mehr benötigt wurde, da keiner unserer Leute versehentlich mit dem Gift in Berührung gekommen war«, erinnert er sich, »dann entschloss ich mich, das Zeug zu vernichten, um nicht damit erwischt zu werden«. Doch bevor der Mossad-Operateur seine Absicht in die Tat umsetzen kann, erreicht ihn ein Anruf aus seinem Hauptquartier. Der Chef der Caesarea-Agenten weist ihn an, nach unten in die Lobby des Hotelszu gehen, wo ein jordanischer Geheimdienstoffizier warte, um das Naloxon in Empfang zu nehmen. Ben-David will seinen Ohren nicht trauen: »Kannst du das bitte noch einmal wiederholen?«
Zusammen mit dem Jordanier, aus dessen Augen »tiefe Verachtung und unbändiger Zorn« sprachen, so Ben-David, fahren der Israeli und die ihn begleitende Ärztin in die Klinik. Als die israelische Medizinerin sich anbietet, dem mit dem Tod ringenden Khaled Meshal das Naloxon zu injizieren, lehnen ihre jordanischen Kollegen das brüsk ab, lassen sich stattdessen die Ampulle aushändigen. Der Hamas-Funktionär erholt sich rasch, einen Tag später wacht er aus dem Koma auf.
Am Sonntag, den 28. September, drei Tage nach dem Mordanschlag, hat sich König Hussein noch immer nicht beruhigt, selbst wenn es scheint, dass Meshal über den Berg ist. Er besteht auf der Freilassung von sechzig bis siebzig Hamas-Gefangenen und obendrein der Begnadigung des Gründers und spirituellen Führers der Hamas, des querschnittgelähmten Scheichs Ahmad Yassin, Deckname »Kadaver« (»the carcass«). Anderenfalls, daran lässt Hussein keinen Zweifel, würden sich die beiden Agenten Kendall und Beads für ihre Tat gerichtlich zu verantworten haben. Nun tobt Netanjahu, will sich nicht die Entlassung der palästinensischen Symbolfigur Scheich Yassin abpressen lassen. Doch das Weiße Haus drängt, den Konflikt zu beenden. Am späten Sonntagabend wird der israelisch-jordanische Deal über Mittelsmänner fixiert. Und am Ende verlangte der König noch eine persönliche Entschuldigung. Und so flog Benjamin Netanjahu an jenem 29. September, mitten in der Nacht, um 1.30 Uhr morgens, im Büßergewand nach Amman. Hussein hatte seinen Bruder beauftragt, den israelischen Premier zu empfangen und die Entschuldigung entgegenzunehmen. »Es war eine der bizarrsten Geschichten,die in meinem Leben je passiert sind«, räumte Kronprinz Hassan später ein.
Am 1. Oktober wurde der zu lebenslanger Haft verurteilte Scheich Yassin nach Amman ausgeflogen. Von dort kehrte er in den Gaza-Streifen zurück, wo ihn seine Anhänger mit einem Triumphzug empfingen. Doch die Israelis vergaßen nicht, dass sie mit ihm noch eine Rechnung offen hatten. Am 22. März 2004 wurde der Hamas-Gründer bei einem gezielten Raketenangriff in Gaza-Stadt getötet (siehe S. 303).
Khaled Meshal
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