Lob der Faulheit
nach dem Tod in Aussicht gestellt, wenn sie nicht spurten. Ihnen wurde eingeredet, dass es Gott gefalle, wenn sie von früh bis spät schufteten, und dass ihm keine Nachlässigkeit entgehe. Der überwiegend auf Ausbeutung beruhende Wohlstand der Reichen wurde als Zeichen göttlichen Erwähltseins hingestellt. Durch diese Ideologie war gewährleistet, dass die Täter kein schlechtes Gewissen quälte, während die Opfer physisch und psychisch unter maximalen Druck gesetzt wurden.
Daher überrascht es nicht, dass die Arbeitswütigen auch heute noch wie Flagellanten wirken. Flagellanten oder Geißler (sic!) hießen im Mittelalter die christlichen Eiferer, die sich selbst peitschten, um Buße zu tun und sich von ihren Sünden zu reinigen. Für die, die es immer noch nicht begriffen haben: Man nannte die Selbstgeißelung »disciplina« (Erziehung). Die bösen Leidenschaften sollten bekämpft werden. Neben der Buße ging es um die körperliche Vergegenwärtigung der Leiden Christi.
Dieses abstoßende Schauspiel wurde auf die Spitze getrieben, indem der sich geißelnde Asket die Schläge zählte und sich zu immer neuen Höchstleistungen antrieb. Was wir heute in der Arbeitswelt erleben, ist eine säkularisierte Form von Selbstgeißelung.
Die Zeit ist reif, solche Vorstellungen, die aus der Kindheit der Menschheitsgeschichte stammen, aufzugeben. Gott ist kein Idiot. Auf so dumme Ideen kommen nur Menschen.
Faulheit ist keine Sünde, Fleiß keine himmlische Tugend.
Die in Europa lebenden Menschen wurden Opfer einer Gehirnwäsche. Von hier aus verbreitete sich dieser Wahnsinn in alle Welt. Die an Raserei grenzende Arbeitswut wurde zum westlichen Lebensstil. Andere Nationen und Kulturen teilen diesen europäisch-amerikanischen »way of life« bis heute nicht, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Sonst sähe alles noch schlimmer aus.
Sind kollektive Zwangsstörungen heilbar?
Alte Gewohnheiten sind schwer zu überwinden. Jeder, der mal versucht hat, abzunehmen, ein Fitnesstraining zu beginnen oder das Rauchen aufzugeben, weiß das. Trotzdem ist es nicht unmöglich.
Große Veränderungen bringen viel Stress mit sich. Nach einiger Zeit gewöhnt man sich jedoch an die neuen Verhältnisse.
Dasselbe ist zu erwarten, wenn wir beginnen, fauler zu sein. Den meisten wird es am Anfang sehr schwer fallen. Faulheit will gelernt sein. Es ist eine Fähigkeit, die vielen abhandengekommen ist. Der Übergang wird mit Stress verbunden sein. Aber sobald die Übereifrigen genügend Erfahrungen mit dem süßen Leben gesammelt haben, werden sie sich vom Saulus zum Paulus wandeln. Die Vorteile des neuen Lebensstils überzeugen.
Am Anfang ist mit inneren und äußeren Widerständen zu rechnen. Das ist normal. Es fühlt sich immer ungewohnt an, etwas Neues zu lernen. Allerdings werden die meisten auf die Erfahrungen, die sie im Urlaub oder bei anderen Gelegenheiten mit dem Müßiggang gemacht haben, zurückgreifen können. Viele gestatten sich ein entspanntes Leben nur, indem sie krank werden. Unsere Gesellschaft ist so sehr von Disziplin und Arbeitseifer überzeugt, dass sie Ausnahmen nur den Kranken erlaubt.
Als ich noch als Angestellter arbeitete, wurde es in der Firma gerne gesehen, dass die kranken MitarbeiterInnen sich morgens mit Fieber zur Arbeit schleppten, um zu zeigen, wie schlecht es ihnen ging. Die Personalleiterin schickte sie dann großzügigerweise
nach Hause. In der Zwischenzeit hatten die Fiebernden natürlich schon andere angesteckt, so dass die Grippe sich schnell ausbreitete. So pervers ist übertriebene Leistungsbereitschaft!
Süchtige lassen nicht einfach so von ihrem ruinösen Verlangen. Deshalb wird die kollektive Arbeitssucht nicht von allein verschwinden. Jared Diamond hat in seinem Buch »Kollaps« untersucht, warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Im Prinzip ist es wie bei Individuen. Manche nehmen wahr, dass etwas schief läuft und ändern ihre Gewohnheiten. Andere ignorieren und leugnen ihre Probleme. Wenn sie dann kurz vor dem Ende sind, entsteht ein kritischer Moment. Entweder sie ändern sich im letzten Augenblick oder sie gehen unter.
Viele Anzeichen sprechen dafür, dass wir uns dem kritischen Punkt nähern. Zur Zeit folgen wir einem Plan, den manche als Selbstmordprogramm qualifizieren. Die übermäßige Produktion von Waren und der extreme Konsum verbrauchen die Ressourcen des Planeten in rasender Eile. Gleichzeitig entstehen Abfälle jeder Art, die
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