Lob der Torheit
hier Seneca, der Erzstoiker, so vieles ein, als er immer auftreiben kann, um den Weisen von jeder Leidenschaft loszuhalftern. Indem er aber dieses tut, rottet er den ganzen Menschen aus, den er zu einer Art einer Gottheit umschafft, die nie gewesen ist, und nie sein wird; oder, damit ichs noch deutlicher sage, er meißelt ihn zu einem marmornen Menschenbilde, dumm, ohne Menschenverstand. O immer, ich mag es von Herzen wohl leiden; mögen sich solche Künstler ihres Weisen unbeneidet erfreuen, und mit ihm Platons Stadt, oder das Gebiet der Ideen, oder des Tantalus Gärten bewohnen!
Wer eilt nicht schauernd von einem solchen Menschen weg, wie von einem Ungeheur, einem Gespenste! Alle Sinne der Natur sind nicht im Stande, einen Eindruck in ihn zu machen; er ist ohne Leidenschaften; für die Liebe, das Mitleiden, ist er so unempfindlich, als ein Kieselstein, als ein Felsenstück; nichts entgeht ihm; nirgends schießt er fehl; mit Luchsenaugen durchschaut er alles; nach Richtschnur und Bleiwaag beurteilt er alles auf das Pünktlichste; für nichts hat er Nachsicht; mit nichts ist er zufrieden, als mit sich; er allein ist reich, gesund, ein König, frei; er allein ist alles, aber auch bloß nach seinem allerliebsten Urteile; er, der keinen Freund begehrt, hat auch keinen; er macht sich kein Bedenken, die Götter selbst zum Henker zu schicken; er, der alles, was in der Welt vorgeht, als Wahnsinn verdammt und verlacht.
Nun, ein solches Tier ist der, den man uns als das Meisterstück der Weisheit anpreist. Wenn es auf die Wahrheit der Stimmen ankäme, welche Stadt würd ihn zu ihrem Bürgermeister wählen? Welches Kriegsheer würde sich ihn zum Feldherrn wünschen? Welcher Frau würd ein solcher Mann, welchem Wirt ein solcher Gast, welchem Bedienten ein solcher Herr, erträglich sein? Man würde lieber mitten aus dem närrischsten Pöbel einen Narren wählen, um Narren zu befehlen, das ist den meisten; sein Weib würd an ihm einen gefälligen Mann finden; seine Freunde würden sich seiner erfreuen; er würd einem Tische Ehre machen; die Gesellschaft würd ihm das Lob beilegen: er führe sich durchgehends als Mensch auf. Aber schon lange fühl ich einen Ekel, so viele Worte an weisen Leuten zu verlieren. Ich sehe mich nach andern Gegenständen um.
Bilden Sie sich ein, meine Herren, daß Sie auf jener Hochwarte stehen, auf welche die Dichter den Jupiter hingepflanzt haben. Sehen Sie allen den Jammer, mit dem das Menschenleben zu kämpfen hat. Elend, garstig, steht es um seine Geburt; um die Auferziehung ists Holzhackersarbeit; tausenderlei Gefahren belagern seine Kindheit; durch die jugendlichen Jahre muß er sich hindurchschwitzen; ihn beugt die Last des Alters; und der Tod ist ihm ein verdrüßlicher Bote. Mit ganzen Heeren von Krankheiten ist er umgeben; unzählbaren Zufällen ist er bloßgesetzt; Widrigkeiten von allen Arten; bald alles, das er genießt, ist mit Galle verdorben. Ich möchte nicht einmal von dem vielen Übel reden, das die Menschen sich einander selbst zuziehen: Armut, Gefängnis, Schande, Schmach, Streithändel, Betrügereien. O lieber wollt ich die Sandkörner am Meere zählen!
Durch welche Verbrechen haben die Menschen sich solche Strafen zugezogen? Welcher Gott hat sie in seinem Zorne verdammt, unter solchen Jammer geboren zu werden? Nein, meine Herren, noch ist es mir nicht verstattet, Ihnen hierüber Nachricht zu erteilen. Wer aber diese Dinge genau durchdenkt, wird er nicht dem erbarmungswürdigen Entschlusse der Milesischen Töchter seinen Beifall gewähren? Welches aber sind die berühmtsten von denen, die, ihres Lebens überdrüssig, dem Tod entgegengeeilt sind? Waren es nicht die Benachbarten der Weisheit? Unter diesen (um jetzt eines Diogenes, Xenokrates, Cato, Cassius, Brutus, nicht zu gedenken) war jener Chiron, dem die Wahl gegeben worden, unsterblich zu sein, und der den Tod wählte.
Man sieht leicht, was daraus entstehen würde, wenn alle Menschen Weise wären: man würde sich um neuen Lehm und um einen andern töpferischen Prometheus umsehen müssen. Ich aber, die ich mich schicklich der Unwissenheit oder Unbedachtsamkeit der Menschen zu bedienen weiß, etwann sie das Übel vergessen mache, Hoffnung auf Gutes einstreue, oder auch etwas von süßer Wollust einmische, komme diesem großen Unfuge zu Hilfe; so daß die Leute auch dennoch nicht das Leben müde sind, wenn die Parcen bereits abgesponnen haben, und das Leben seit langem mit dem Abschiednehmen den Anfang gemacht hat; je weniger
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