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Lob der Torheit

Lob der Torheit

Titel: Lob der Torheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erasmus von Rotterdam
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Ursache sie haben, im Leben zu bleiben, desto tiefer sind sie in das Leben verliebt; desto weiter entfernt, seiner überdrüssig zu werden.
    Mir hat man es zu verdanken, daß man hin und wieder Greisen sieht, alt wie Nestor, die zwar bald nicht mehr Menschen gleich sehen, stammeln, aberwitzig sind, grau, zahn-haarlos, gebücket, runzlicht, stinkend, lendenlahm, aber sich des Lebens doch so sehr freuen, noch so kindisch tändeln, daß der Eine sein graues Haarnest schwarz färbt, und der Andere seine Glatze unter falsches Haar versteckt; dieser sich solcher Zähne bedient, die er einem seiner Anverwandten aus dem Schweinstalle abgeborgt hat; jener in ein Mädchen so jämmerlich verliebt ist, daß kein junger Laffe den Narren so weit treiben könnte. Daß ein Steinalter, der an der Grube herumkriecht, und zur Totenbahr vorbereitet ist, ein junges Töchterchen, das blutarm ist, und Andern zu Diensten stehen wird, zur Ehe nehme, ist etwas so wenig Ungewöhnliches, daß es zur rühmlichen Mode geworden.
    Noch herzbrechender ists, wenn man ein altes Mütterchen sieht, die schon lange dem Tod entgegengelebt hat, und so geripphaft aussieht, daß man meinen sollte, sie komme gerad aus dem Reiche der Toten zurück, aber das Lob des Lebens noch immer herausstreicht, und einen armen Phaon reichlich bezahlt, um ihr durch seine geheimen Künste die Lebensliebe fleißig einzupfropfen: an Schminke läßt sies nicht fehlen, ihr Gesicht zu verstecken; vom Spiegel ist sie nicht wegzubringen; sie erarbeitet sich, was an ihrem Leibe das Alter verrät, bestmöglichst auszureuten; da steht sie leider im allzutief ausgeschnittenen Wamste; in ein verliebtes Liedchen brummt ihre kollernde Stimme; da sitzt sie beim Gesundheittrinken; mischt sich unter die tanzenden Reigen der Mädchen; kratzet Liebesbriefe. Freilich rufen die lachenden Spötter, hier die Wahrheit, daß es alles erznärrisch sei; aber inzwischen gefällt sie sich selbst, schwimmt in einem Wollustsmeere, und, Dank hat sie mir, ist beglückt.
    Ja freilich, lächerlich machen sich diese Leute. Ihr aber, die ihr diese weise Anmerkung ausgebrütet habt, überleget es reiflich: ists nicht besser, bei einer solchen Narrheit wonnevoll leben, als verzweiflungsvoll sich nach einem Balken, Nagel und Strick umsehen? Daß der Pöbel dergleichen Dinge für schändlich halte, das macht meinen Narren keinen Kummer: sie fühlen dieses Übel nicht; oder, wenn sie es fühlen, so achten sie es wenig. Wenn ein Stein ihnen auf den Kopf fiele, ja, dann würden sie das Übel fühlen; aber Scham, Schande, Schimpf, Schmähungen, sind nur da schädlich, wo man sie als schädlich ansieht; Fühllosigkeit setzt über das Übel hinaus. Wenn gleich das ganze Volk dich auszischt, so bleibst du doch unverletzt, so lange du dir selbst Beifall zuklatschest; und diese Kunst lerne sich bloß in der Schule der Narrheit. Eben dieses (krächzen mir Philosophen entgegen) ist ein Elend, wenn man in den Stricken der Narrheit als ein Dummkopf umherirrt. O nein, eben das heißt, ein Mensch sein; und anbei, was plaudert ihr hier vom Elendsein; seid ihr nicht selbst gerade so geboren, unterrichtet, auferzogen? Ists nicht das gemeine Los allen Menschen?
    Nichts ist elend, das sich in seinem natürlichen Zustande befindet; sonst müßte man das Los des Menschen beweinen, der nicht mit den Vögeln fliegen, nicht mit dem übrigen Viehe auf vier Füßen laufen, sich nicht mit den Hörnern ochsenmäßig verteidigen kann. Mit gleichem Rechte müßte man das schönste Pferd unglücklich nennen, weil es nicht in der Grammatik unterrichtet worden, und man es nicht mit Pasteten bewirtet; elend würd es um den Ochsen stehen, weil er nicht auf den Fechtboden gegangen ist. Wie demnach das ungrammatikalische Pferd nicht unglücklich ist, so ists auch der närrische Mensch nicht: beide befinden sich ja in ihrem natürlichen Zustande.
    Der Mensch (erwidern die verdrehten Feinschwätzer) hat das besondere Vorrecht, sich in Wissenschaften umzusehen, und vermittelst derselben kann er durch Scharfsinn das erlangen, das die Natur ihm versagt hat. O wo bleibt die Wahrscheinlichkeit? Die Natur, die bei Mücken, beim Grase, bei Blumen so wachsam war, schlummerte gewiß, da die Reihe an den Menschen kam, nicht so ein, daß sie jene Wissenschaft hätte zu Hilfe rufen müssen, die Theut, der dem Menschgeschlechte so abholde Genius, zum Verderben derselben ausgesonnen hat, indem sie nicht nur zur Glückseligkeit des Menschen nichts beitragen, sondern

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