Lob der Torheit
Christen, um die sie sich so mühsam bearbeiten, ist anders nichts, als eine Art von Wahnsinn und Narrheit. Nein, meine Herren, bei den Worten müssen sie sich nicht aufhalten, sondern die Sache selbst erwägen.
Die Christen, die in vielen Stücken mit den Platonikern übereinstimmen, behaupten, die Seele sei mit Banden des Körpers gefesselt und werde durch die Schwere desselben gehindert, sich zur Betrachtung und zum Genusse des Wahren hinaufzuschwingen. Daher beschreibt Plato die Philosophie als eine Betrachtung des Todes, weil sie die Seele von sichtbaren und körperlichen Dingen entfernt; etwas, das sie mit dem Tode gemein hat. So lange die Seele sich der Werkzeuge des Leibes richtig bedient, ist sie gesund zu nennen; wenn sie aber, die Bande zerreißend, sich nach Freiheit bestrebt und auf Flucht aus dem Kerker denkt, nennt man es Wahnsinn. Und doch sehen wir zuweilen, daß diese Art von Menschen künftige Dinge vorhersagt, Sprachen und Wissenschaften besitzt, die sie vorhin nicht erlernt hatte und durchgehends etwas Göttliches äußert. Ohne Zweifel kommt dieses daher, daß die von der Knechtschaft des Leibes etwas freiere Seele anfängt, sich ihrer angebornen Stärke zu bedienen. Und eben dieses halte ich auch für die Ursache, daß Sterbende zuweilen wie Begeisterte reden.
Wenn eine übertriebene Frömmigkeit hieran schuld hat, so ists vielleicht eine andere Art von Wahnsinn, doch jenem so nahe verwandt, daß die wenigsten Menschen den Unterschied einsehen; insonderheit da die Zahl derer sehr klein ist, die sich in allen Teilen ihres Lebens von den übrigen Menschen unterscheiden. Plato soll uns helfen, sie zu beschreiben: Menschen befinden sich in einer Höhle eingeschlossen, da sie nichts als den Schatten der Dinge sehen; einer von ihnen hat sich daraus durch die Flucht gerettet; er kommt wieder zu ihnen, und spricht, er habe wirkliche Dinge gesehen; sie befinden sich in einem gewaltigen Irrtum, da sie glauben, es gebe nichts außer den elenden Schatten; dieser Weise hat Mitleiden mit dem Wahnsinn der sich so sehr Irrenden; sie aber lachen über ihn als über einen Blödsinnigen und stoßen ihn von sich.
Also bewundert der Pöbel die körperlichen Dinge am meisten und glaubt, daß es keine andern gebe. Fromme hingegen verachten das, welches dem Körper am nächsten kommt, am meisten und werden ganz zur Betrachtung unsichtbarer Dinge hingerissen. Jene ziehen die Reichtümer allem vor; dann denken sie auf die Gemächlichkeit des Leibes; und die Seele muß sich mit der letzten Sorge behelfen; ja die meisten glauben nicht einmal eine Seele: denn sie läßt sich ja nicht sehen! Diese hingegen steuern sich zuerst ganz auf Gott selbst, das einfältigste unter allen Wesen; nach diesem sehen sie auf das, was demselben am nächsten kommt, auf ihre Seele; auf den Leib wenden sie keine Sorge; und das Geld verachten und fliehen sie, als ob es Kot wäre. Wenn sie sich je mit etwas dergleichen abgeben müssen, so tun sie es als eine schwere Arbeit mit Widerwillen; sie habens, als hätten sies nicht; besitzend, als besäßen sies nicht. Durchgehends sind sie auch noch auf vielerlei Weise von einander verschieden.
Ja, alle Sinne sind dem Leibe anverwandt; doch sind einige derselben gröber, als das Gefühl, das Gehör, das Gesicht, der Geruch, der Geschmack; andere sind von dem Körper entfernter, als das Gedächtnis, der Verstand, der Wille. Da, wo die Seele sich am meisten an etwas haftet, ist sie am stärksten. Weil die Frommen alle ihre Seelenkräfte dem widmen, das sich von den gröbern Sinnen am weitesten entfernt, so sind sie hier wie dumm und betäubt. Mit dem Pöbel verhält sich die Sache gerade verkehrt. Haben wir nicht von einigen Gottesgelehrten gehört, daß sie in ihrer Zerstreuung Öl anstatt Wein getrunken haben?
Unter den Leidenschaften der Seele haben einige mit dem groben Körper mehrere Gemeinschaft; zum Exempel die Lüsternheit der Wollust, die Begierde zum Essen und Schlafen, der Zorn, der Stolz, der Neid; mit diesen sind die Frommen in stetem Kriege verflochten; die Irdischgesinnten hingegen meinen, daß sichs ohne dieselbe nicht leben lasse.
Es gibt Leidenschaften von einer mittlern Natur; sie sind gleichsam etwas Natürliches; zum Exempel Liebe gegen das Vaterland, gegen die Kinder, die Eltern, die Freunde. Der gemeine Mann räumt denselben etwas ein; jene aber trachten auch diese Leidenschaften aus der Seele zu verbannen; wenigstens sich ihrer nur dann zu bedienen, wenn sie sich in den
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