Lob der Torheit
können. Freilich ist dieses nur ein überaus kleines Tröpflein, in Vergleichung mit jener Quelle der ewigen Glückseligkeit; doch übertrifft es weit alle Wollüste des Körpers, gesetzt, daß man auch alle Vergnügungen aller und jeder Sterblichen in sich vereinigen könnte. So weit besser ist das Geistige als das Körperliche, das Unsichtbare als das Sichtbare. Dieses ists, was ein prophetischer Apostel hierüber zu sagen gehabt hat: »Kein Auge hats gesehen, kein Ohr gehört, in keines Menschen Herz ists gekommen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.« Und dieses war Maria Teil, der bei der Veränderung nicht wegfällt, sondern zur Vollkommenheit gelangt.
Wer mit einem solchen Gefühle begnadigt worden (nur wenige haben sich dessen zu rühmen), der fühlt in sich etwas, das dem Wahnsinn sehr ähnlich ist; er redet Dinge, die nicht zusammenhängen; er redet nicht wie die übrigen Menschen; Töne sind es, bei denen sich kein Verstand äußert; in seinem Gesichte zeigen sich etwann die seltsamsten Gebärden; bald fröhlich, bald niedergeschlagen; weinend, lachend, seufzend; kurz, er ist nicht bei sich selbst; und wenn er wieder nach Hause kommt, so will er nichts davon wissen, wo er gewesen sei; im Körper, oder außer demselben; ob er gewacht oder geschlafen habe; was er gehört, gesehen, gesagt, getan, sind alles Dinge, deren er sich nicht erinnern kann als nur durch einen Nebel, einen Traum; nur dieses weiß er, er sei am glücklichsten gewesen alldieweil ein solcher Wahnsinn ihn beseligt habe. Seine Genesung beweint er; sein eifrigster Wunsch ist, daß ein solcher Wahnsinn ihm ewig möchte zu Teil werden. Und dieses ist ein sehr kleiner Vorgeschmack der künftigen Glückseligkeit.
Doch schon lange hab ich meiner vergessen und bin aus meinen Schranken gewichen. Wem es scheinen möchte, ich sei in meinen Reden zu frei und zu schwatzhaft gewesen, der erinnere sich, daß die Narrheit und ein Weib bisher geplaudert haben. Dennoch bitte ich Sie, meine Herren, recht schön zu bedenken, daß man schon bei den alten Griechen gesagt habe, ein Narr rede oft sehr schicklich. Und den unhöflichen Einwurf will ich von Ihnen nicht erwarten, die Griechen haben dieses Lob nur einen Narren, nicht aber einer Närrin, beigelegt.
Ohne Zweifel erwarten Sie, meine Herren, zum Beschluß eine feierliche Zueignung; in Ihren Minen sehe ich es; aber, seien Sie nicht Erznarren, daß Sie sich bereden, ich werde mich alles des von mir herausgeschwatzten Wörterplunders noch erinnern können? Die Alten sagten: weg vom Trinkgelage mit dem, der nichts vergessen kann! Ich sage: weg aus meinem Hörsaale mit dem, der ein gutes Gedächtnis hat! Nun, meine Herren, weltberühmte Anhänger der Narrheit, leben Sie wohl, und wenn Sie mir Ihren Beifall zugeklatscht haben, so vergessen Sie nicht, auf meine Gesundheit zu trinken.
Anhang
Editorische Notiz
Der vorliegende Text ist folgender Ausgabe entnommen:
Das Lob der Narrheit aus dem Lateinischen des Erasmus. [Übersetzt von Wilhelm Gottlieb Becker.] Berlin und Leipzig 1781 .
Die Orthographie wurde behutsam modernisiert. Druck- und Satzfehler wurden korrigiert.
Daten zu Leben und Werk
1466 oder 1469
Am 28 . Oktober wird Erasmus vermutlich als zweiter unehelicher Sohn des Priesters Rotger Gerard in Rotterdam geboren. Er besucht Schulen in Gouda und Deventer.
zwischen 1486 und 1488
Nachdem die Eltern früh verstorben sind, auf Betreiben der Vormünder hin Eintritt in das Augustinerchorherrstift in Steyn. Beschäftigung mit klassischen und patristischen Schriften.
1492
Erasmus erhält die Priesterweihe.
1493
Erasmus wird Sekretär des Bischofs von Cambrai.
1495 – 1499
In Paris Studium der Theologie, Philosophie, des Griechischen und Hebräischen.
1499 – 1500
Erasmus geht nach England und trifft hier unter anderem auf Thomas More und John Colet. Weiterentwicklung des Gedanken des christlichen Humanismus. 1500 : Erscheinen der ersten Ausgabe von Adagia , einer Sammlung etwa 800 antiker Sprichwörter und Redensarten nebst Kommentaren, die bald internationale Anerkennung findet.
1500 – 1505
Aufenthalte in den Niederlanden, England und Paris. 1503 : Veröffentlichung von Enchiridion militis Christiani (Handbüchlein eines christlichen Streiters) . 1504 : Wiederaufnahme des Studiums in Paris.
1505 – 1509
Zunächst nach England, von dort aus 1506 nach Italien. 1506 in Turin Promotion zum Doktor der Theologie. Weiterarbeit an Adagia
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