Lob der Torheit
höchsten Grad der geistigen Tugend verfeinert haben; so daß sie jetzt zwar den Vater lieben, aber nicht als Vater, denn dieser hat ja nichts als den Leib gezeigt (ja ihn hat man eigentlich Gott zu verdanken) sondern als einen rechtschaffenen Mann, aus welchem das Bild jenes obersten Geistes hervorleuchtet, der allein das höchste Gut zu nennen ist und außer welchem nichts liebens- und wünschenswürdig sein kann.
Eben dieser Richtschnur bedienen sie sich auch bei allen übrigen Lebenspflichten; so daß sie allerorten das Sichtbare, wo nicht ganz verachten, doch weit geringer als das Unsichtbare schätzen. Sie sagen, daß sich auch in den Sakramenten und in den übrigen gottesdienstlichen Handlungen Körper und Geist finden lassen. Beim Fasten zum Exempel halten sie nicht vieles darauf, wenn man sich nur von dem Fleischessen und der Nachtmahlzeit enthält, (etwas, das der gemeine Mann für ein vollkommenes Fasten hält) wenn man nicht zugleich auch den Neigungen etwas entzieht; wenn man nicht dem Zorne oder dem Stolze, weniger als sonst erlaubt; wenn nicht die sich jetzt durch das Körperliche weniger beschwerte Seele Mühe anwendet, zum Geschmack und Genusse himmlischer Güter zu gelangen. Beim heiligen Abendmahle (sprechen sie) ist das Zeremonialische nicht zu verachten, doch ist es an sich selbst wenig nützlich, etwann schädlich, wenn nicht das Geistliche hinzukommt, nämlich, was durch die sichtbaren Zeichen vorgebildet wird; und vorgebildet wird der Tod Christi, dem die Menschen durch Bezwingung, Tötung und gleichsam Begrabung der Neigungen des Leibes nachahmen müssen, um zu einem erneuerten Leben zu auferstehen und sich mit ihm und untereinander zu vereinigen.
Also beträgt sich, und also denkt jener Fromme. Hingegen glaubt der gemeine Mann, daß die Religion anders nichts fordere, als sich bei den Altären einzufinden, sich zu denselben zu drängen, den Schall der Stimmen zu hören und andere dergleichen kleine Zeremonien zu sehen. Und nicht nur in den Dingen, die ich beispielsweise angeführt habe, sondern durchgehends in allem Tun und Lassen, flieht der Fromme von dem Körperlichen zum Ewigen, Unsichtbaren und Geistlichen.
Weil sich zwischen diesen Leuten durchgehends ein so großer Unterschied befindet, so kommt jeder dem andern als wahnsinnig vor. Doch läßt sich (wenigstens nach meiner Meinung) dieses Wort richtiger den Frommen beilegen als den andern. Und dieses wird sich deutlicher einsehen lassen, wenn ich meinem Versprechen nach, kürzlich werde dargetan haben, jene unendliche Belohnung sei anders nichts, als eine Art von Wahnsinn.
Sie, meine Herren, müssen wissen, daß es dem Plato schon damals etwas dergleichen geträumt habe, da er schrieb, die Wut der Liebenden sei unter allen andern die glücklichste. Wer durch und durch verliebt ist, lebt nicht mehr in sich, sondern in dem Geliebten; und je mehr er sich von sich selbst entfernt, und sich dorthin wendet, desto mehr wächst seine Freude. Wenn die Seele darauf umgeht, aus ihrem Leibe zu ziehen und sich ihrer körperlichen Werkzeuge nicht richtig bedient, so legte man diesem ohne Zweifel mit Grunde den Namen der Wut bei. Was würden sonst die gewöhnlichen Redensarten sagen wollen, »er ist nicht bei sich; kehre in dich selbst zurück; er ist wieder zu sich gekommen«? Ferner, je unumschränkter die Liebe ist, desto größer und glücklicher ist die Wut. Wie wird es demnach mit jenem Leben der Himmelsbewohner beschaffen sein, nach welchem fromme Seelen so inbrünstig seufzen? Mit siegreicher Stärke ausgerüstet, wird der Geist den Körper verschlingen; und schwer wird ihm solches nicht fallen: er ist bereits schon wie in seinem Reiche; und schon in vorigen Leben hat er den Körper zu einer solchen Verwandlung gereinigt und verfeinert.
Hernach wird die Seele von jenem höchsten unendlichstärkern Geiste auf eine wunderbare Weise verschlungen werden. Der ganze Mensch wird dann außer sich selbst sein, nur dadurch beglückt, daß er außer sich selbst gesetzt ist und sich durch jenes höchste, alles an sich ziehende Gut unaussprechlich beseligt befindet. Diese Seligkeit gelangt mithin erst dann zur Vollkommenheit, wenn die Seelen mit ihren vorigen Leibern wieder werden bekleidet und beide unsterblich sein; doch, weil das Leben der Frommen anders nichts ist als eine Betrachtung jenes Lebens, und gleichsam ein Schattenriß desselben, so geschieht es, daß sie sich hier schon zuweilen bei einem entzückenden Vorgeschmack desselben erquicken
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