Lobgesang auf Leibowitz
unter der Bezeichnung »Radiobodenteil – Anwendung unbekannt« ausgestellt war.
Auf die Innenseite des Deckels der Tasche war ein Zettel geklebt. Der Klebstoff war zu Pulver geworden, die Tinte war ausgebleicht, und das Papier war so durch Rostflecken gedunkelt, daß selbst eine deutliche Handschrift schwer zu lesen gewesen wäre, geschweige denn dieses hastige Gekritzel. Er betrachtete die Schrift ab und zu unter dem Leeren der Schalen. Es schien eine Art Englisch zu sein. Eine halbe Stunde verging, bevor er den größten Teil der Mitteilung entziffert hatte:
CARL -
Ich muß das Flugzeug nach [unleserlich] in zwanzig Minuten erwischen. Du mußt um Himmels willen versuchen, Em dazubehalten, bis wir wissen, ob Krieg ist. Versuch bitte, sie auf die Ersatzliste für den Bunker zu kriegen. Ich kann ihr keinen Platz in meinem Flugzeug besorgen. Sag ihr nicht, warum ich sie mit dieser Schachtel voll Ramsch rübergeschickt habe, aber versuch sie dazubehalten bis wir wissen [unleserlich] schlimmstenfalls, einer der Ersatzleute nicht kommt. I. E. L.
PS Ich versiegle das Schloß und schreibe STRENG GEHEIM auf den Deckel, damit Em nicht reinschaut. Der erstbeste Werkzeugkasten, der mir in die Hände kam. Schieb ihn in meinen Schrank oder was.
Bruder Francis schien das überstürztes Kauderwelsch. Er war jetzt zu erregt, um einem einzelnen Gegenstand mehr Aufmerksamkeit als den übrigen zu widmen. Nach einem letzten spöttischen Blick auf das schlampige Gekritzel machte er sich daran, die Fächer zu entfernen, um an die Papiere am Boden der Schachtel zu gelangen. Die Fächer waren an einem Drehgestänge befestigt, das offensichtlich bestimmt war, die Fächer treppenförmig aus der Schachtel treten zu lassen. Die Bolzen waren völlig verrostet, und so war Francis gezwungen, die Fächer mit einem kurzen Stahlwerkzeug, das er einem der Fächer entnahm, herauszubrechen. Als er das letzte entfernt hatte, berührte er voll Ehrfurcht die Papiere. Nur einige wenige gefaltete Schriftstücke, und doch ein Schatz. Denn sie waren den wütenden Flammen der Großen Vereinfachung entgangen, die selbst geheiligte Schriften sich hatte aufrollen, schwarz werden und in Rauch aufgehen lassen, während die unwissende Menge dazu getobt und »Triumph« geschrien hatte. Er behandelte die Papiere so, wie man geheiligte Dinge behandelt, schützte sie mit seinem Habit vor dem Wind, denn sie waren vor Alter brüchig und rissig. Ein Bündel grober Skizzen und Diagramme. Mit der Hand hingeschmierte Notizen, zwei große, gefaltete Blätter und ein kleines Buch, auf dem Denk dran stand.
Zuerst untersuchte er die rasch hingeschriebenen Notizen. Dieselbe Hand hatte sie gekritzelt, die auch die Nachricht im Deckel geschrieben hatte, und der Duktus war nicht weniger scheußlich. »Ein Pfund Pastrami«, hieß es da, »eine Büchse Sauerkraut, sechs Mazzes für Emma mitbringen.« Eine andere Notiz erinnerte: »Nicht vergessen, Formular 1040 abholen – die liebe Steuerbehörde.« Eine weitere bestand nur aus einer Reihe zusammengezählter Zahlen, die Summe unterstrichen; davon war eine Zahl abgezogen, ein Prozentsatz ausgerechnet worden, auf den das Wort »Verdammt« folgte. Bruder Francis rechnete nach. Er wenigstens konnte keinen Fehler in der Rechnung des scheußlichen Schreibers entdecken. Er fand jedoch nicht heraus, wofür die Zahlen wohl stehen mochten.
Das »Denk dran« behandelte er mit besonderer Ehrfurcht, weil ihn die Bezeichnung an die Denkwürdigkeiten erinnerte. Bevor er es öffnete, bekreuzigte er sich und murmelte den Schriftsegen. Doch das Büchlein erwies sich als Enttäuschung. Er hatte Gedrucktes erwartet, fand aber bloß eine handgeschriebene Aufstellung von Namen, Orten, Nummern und Daten. Die Daten erstreckten sich von der zweiten Hälfte der fünfziger bis in die erste der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Eine weitere Bestätigung! Der Inhalt des Bunkers stammte aus der Spätzeit des Erleuchteten Zeitalters. Wirklich eine bedeutende Entdeckung!
Von den größeren gefalteten Papieren war eins auch noch eingerollt. Als er versuchte, es aufzurollen, begann es in Stücke zu zerfallen. Er konnte nur die Worte WETTSCHEIN erkennen, nichts weiter. Er verstaute es für spätere Restaurierungsarbeiten wieder in der Schachtel. Dann wandte er sich dem zweiten gefalteten Schriftstück zu. Seine Kniffe waren so brüchig, daß er es nur wagte, es ein wenig zu untersuchen, wobei er die Papierlagen leicht anhob und
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