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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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zwischen sie hineinblickte.
    Es schien ein Diagramm zu sein, aber ein Diagramm von weißen Linien auf dunklem Papier!
    Wieder packte ihn Entdeckerfreude. Bestimmt war es eine Blaupause! Und es gab nicht eine einzige echte Blaupause mehr in der Abtei, sondern nur noch Tintenfaksimiles einiger solcher Pausen. Die Originale waren längst in übermäßiger Zurschaustellung durch Licht ausgebleicht. Francis hatte noch nie ein Original gesehen. Er erkannte es aber als eine Blaupause, weil er genügend handgemalte Kopien gesehen hatte. Diese hier, obwohl fleckig und ausgebleicht, war doch nach so langer Zeit auf Grund völliger Dunkelheit und geringer Feuchtigkeit im Bunker noch leserlich geblieben. Er drehte das Dokument um und war für einen Augenblick wortlos vor Wut. Welcher Dummkopf hatte das unschätzbare Blatt entweiht? Irgend jemand hatte gedankenverloren geometrische Figuren und kindische Fratzen über die ganze Rückseite gezeichnet. Welcher gedankenlose Barbar…
    Nach kurzer Überlegung schwand die Wut. Zur Zeit der Untat waren Blaupausen wahrscheinlich so zahlreich wie Sand am Meer gewesen und der Eigentümer der Schachtel vermutlich der Missetäter. Er schützte den Druck mit seinem Schatten vor der Sonne und versuchte ihn noch weiter aufzuschlagen. Rechts unten in der Ecke war ein gedrucktes Rechteck, das verschiedene Bezeichnungen, Daten, »Patentnummern«, Bezugsnummern und Namen in einfacher Blockschrift umschloß. Sein Blick glitt die Liste entlang und stieß auf: »SCHALTPLAN ENTWURF: Leibowitz, i.e.«
    Er schloß die Augen ganz fest und schüttelte den Kopf, bis ihm die Ohren klangen. Er schaute noch einmal hin. Da stand es, ganz schlicht und einfach:
     
    SCHALTPLAN. ENTWURF: Leibowitz, I.E.
     
    Er drehte das Papier schnell wieder um. Zwischen den geometrischen Figuren und den kindischen Kritzeleien fand sich ein Stempel, deutlich gedruckt in purpurner Tinte:

    Der Name war gut leserlich von weiblicher Hand geschrieben, nicht von dem hastigen Kritzler der anderen Aufzeichnungen. Er blickte wieder auf die abgekürzte Unterschrift der Mitteilung im Schachteldeckel: I.E.L. – und wieder auf »SCJALTPLAN. ENTWURF:…« Die gleichen Anfangsbuchstaben tauchten auch an anderer Stelle in den Aufzeichnungen auf.
    Es war immer schon eine höchst hypothetische Streitfrage gewesen, ob der seliggesprochene Gründer des Ordens, wenn er endlich heiliggesprochen wäre, als »heiliger Isaak« oder als »heiliger Edward« angerufen werden sollte. Manche befürworteten als richtige Anrede sogar »heiliger Leibowitz«, da man bis in die Gegenwart hinein auf den Seligen mit seinem Familiennamen verwies. »Beate Leibowitz, ora pro me!« flüsterte Bruder Francis. Seine Hände zitterten so heftig, daß die brüchigen Schriftstücke Gefahr liefen, verdorben zu werden.
    Er hatte Reliquien des Heiligen aufgefunden.
    Daß Leibowitz zu den Heiligen gehöre, hatte New Rome natürlich noch nicht erklärt, aber Bruder Francis war so überzeugt davon, daß er hinzuzufügen wagte: »Sancte Leibowitz, ora pro me!«
    Bruder Francis vergeudete keine Zeit mit müßigen Überlegungen, um zu der unmittelbaren Schlußfolgerung zu gelangen, daß ihm vom Himmel selbst das Zeichen seiner Berufung gewährt worden war. So wie er es verstand, hatte er gefunden, wonach er auf Suche in die Wüste geschickt worden war. Er war berufen, ein Mönch des Ordens zu werden.
    Er vergaß die ernste Mahnung des Abts, daß man nicht erwarten dürfe, die Berufung komme auf irgendeine großartige oder wunderbare Weise. Der Novize kniete im Sand nieder, um seine Dankgebete zu sprechen und um einige zwanzig Rosenkränze für die Geschicke des Pilgers darzubringen, der ihm den Stein und damit gewissermaßen den Bunker bezeichnet hatte. Mögest du bald zu deiner Stimme finden, mein Junge, hatte der Wanderer gerufen. Erst jetzt begann der Novize zu vermuten, daß der Pilger vielleicht von Bestimmung und nicht von Stimme geredet hatte.
    »Ut solius tuae voluntatis mihi cupidus sim, et vocationis tuae conscius, si digneris me vocare…«
    Es würde Sache des Abts sein, zu finden, daß seine »Stimme« eine zufällige Sprache gesprochen hatte und nicht die der Gewißheit von Ursache und Wirkung. Es würde Sache des Promotor Fidei sein, zu denken, daß »Leibowitz« vor der Feuerflut vermutlich kein außergewöhnlicher Name gewesen war und daß I. E. genausogut »Ichabod Ebenezer« als auch »Isaak Edward« bedeuten konnte. Doch Francis war sich vollkommen sicher.
    Aus

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