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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Der Augapfel wurde verschiedentlich als Orbis Judicans Conscientias bezeichnet, aber auch als das Oculus Poetae Judicis, und die Überreste der texarkanischen Abtrünnigen verehrten ihn immer noch als eine Reliquie. Vor ein paar Jahren hatte jemand die ziemlich dümmliche Hypothese aufgestellt, daß der »heilige Dichter« die gleiche Person sei wie der »zotige Versifikator«, der ein einziges Mal in den Tagebüchern des Ehrwürdigen Abtes Jerome erwähnt wurde, aber der einzige stichhaltige »Beweis« für diese Theorie war, daß Pfardentrott – oder war es Esser Shon? – die Abtei unter dem Abt Jerome ungefähr zu jenem Zeitpunkt besucht hatte, an dem der »zotige Versifikator« in dem Tagebuch erwähnt wird, und daß die Schenkung des Augapfels an Hannegan zu einem Datum nach diesem Besuch in der Abtei stattgefunden hatte. Zerchi vermutete, daß die Verse des dünnen Bandes von einem der weltlichen Wissenschaftler niedergeschrieben worden waren, die in jener Zeit die Abtei besuchten, um die Memorabilien zu studieren, und daß möglicherweise einer von ihnen mit dem »zotigen Versifikator« und vielleicht sogar einer mit dem Dichterheiligen der Folklore und der Fabel identisch sein könnte. Die anonymen Verse waren doch zu gewagt, dachte Zerchi, als daß ein Mönch des Ordens sie geschrieben haben sollte.
    Das Buch war ein satirischer Dialog zwischen zwei Agnostikern, die es in Versen unternahmen, durch natürliche Vernunft allein zu beweisen, daß die Existenz Gottes durch natürliche Vernunft allein nicht bewiesen werden könne. Sie brachten es nur fertig, zu demonstrieren, daß die mathematische Grenze einer infiniten Folge von »Zweifeln an der Gewißheit, mit der etwas Bezweifeltes als nichtwißbar gewußt wird, wenn das ›Bezweifelte‹ noch das Vorstadium der ›Unwißbarkeit‹ von ›etwas Bezweifeltem ist‹«, daß die Grenze dieses Prozesses ad infinitum nur gleichbedeutend sein könne mit der Feststellung der absoluten Gewißheit, auch wenn formuliert als eine unbegrenzte Folge von Negationen der Gewißheit. Der Text wies Züge von Sankt Leslies Theologischer Rechnung auf; und sogar noch als poetischer Dialog zwischen einem Agnostiker, der nur als »Dichter«, und einem andern, der nur als »Thon« bezeichnet wurde, schien der Text auf erkenntnistheoretischem Wege einen Beweis für die Existenz Gottes darzustellen, aber der Verseschmied war ein Satiriker gewesen; weder der Dichter noch der Gelehrte gaben ihre agnostischen Prämissen auf, nachdem der Schluß der absoluten Gewißheit erreicht war, sondern sie schlossen statt dessen, daß: non cogitamus, ergo nihil sumus.
    Abt Zerchi wurde es rasch müde, entscheiden zu wollen, ob das Buch eine hochintellektuelle Komödie oder eine mehr epigrammatische Possenreißerei sei. Vom Turm aus konnte er die Autobahn und die Stadt und bis weit über die Mesa sehen. Er stellte das Fernglas auf die Mesa ein und beobachtete eine Weile die Radaranlagen dort, aber es schien nichts Ungewöhnliches zu geschehen. Er senkte das Glas leicht, um die neuen Grünstern-Einrichtungen im Lager am Autobahnparkplatz zu beobachten. Das Gebiet des Parks und des Parkplatzes war mit Seilen abgetrennt worden. Zelte wurden aufgeschlagen. Installationsmannschaften waren dabei, Gas-und Stromleitungen anzuschließen. Mehrere Männer waren damit beschäftigt, ein Schild am Eingang zum Lager anzubringen, doch sie hielten es über Eck, und so konnte Abt Zerchi es nicht lesen. Irgendwie erinnerte ihn die hektische Aktivität an einen Wanderzirkus der Nomaden, der in die Stadt gekommen war. Es gab eine große rote Maschine oder etwas Ähnliches. Sie schien ein Feuerloch und einen Dampfkessel zu haben, aber zunächst konnte er sich ihren Zweck nicht vorstellen. Männer in Grünstern-Uniformen errichteten ein Ding, das aussah wie ein kleines Karussell. Schließlich wurden noch mehr als ein Dutzend Lastwagen neben der Straße geparkt. Einige waren mit Bauholz beladen, andere mit Zelten und Faltbetten. Einer schien Brandziegel anzubringen, ein anderer war mit Steingutwaren und Stroh beladen.
    Steingut?
    Abt Zerchi besah sich die Fracht des letzten Lastwagens genauer. Runzeln bildeten sich auf seiner Stirn. Es war eine Ladung von Vasen oder Urnen, die alle gleich aussahen, und sie waren mit schützenden Strohschichten übereinandergepackt. Irgendwo hatte er so etwas schon einmal gesehen, doch er konnte sich nicht erinnern, wo.
    Ein weiterer Lastwagen, der ankam, brachte nichts als eine große

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