Lobgesang auf Leibowitz
Erden begegnete. Sie würden viel Beten nötig haben; niemand war anfälliger als der Wanderer, anfälliger für die Übel, die den Geist befallen und den Glauben peinigen und die Überzeugung zernagen und das Hirn mit Zweifeln quälen. Zu Hause auf der Erde, da gab es Aufpasser und äußerliche Zuchtmeister für das Gewissen, doch unterwegs war das Gewissen allein, war hin-und hergerissen zwischen dem Herrn und dem bösen Feind. Laß sie standhaft sein, betete er, laß sie getreu sein dem Weg des Ordens.
Doktor Cors fand ihn gegen Mitternacht in der Kirche und winkte ihn leise hinaus. Der Arzt sah verstört und völlig mutlos aus. »Ich habe soeben mein Versprechen gebrochen«, begann er herausfordernd.
Der Abt schwieg einen Moment lang. Dann fragte er: »Stolz drauf?«
»Nicht besonders.«
Sie gingen auf die Laborwagen zu und blieben im Schein des bläulichen Lichtes stehen, das aus der Tür kam. Der Laborkittel des Arztes war schweißnaß; er trocknete sich die Stirn mit dem Ärmel. Zerchi betrachtete ihn mit jenem Mitgefühl, das man für die Verlorenen empfinden mag.
»Wir werden natürlich sofort wegfahren«, sagte Cors. »Ich dachte nur, ich müßte es Ihnen sagen.« Er drehte sich um und machte sich daran, in den Laborwagen zu steigen.
»Augenblick«, sagte der Priester. »Erzählen Sie mir alles!«
»Erzähl ich’s Ihnen?« Der herausfordernde Ton war wieder in der Stimme. »Wozu? Damit Sie mit dem Höllenfeuer drohen können? Sie ist schon krank genug und das Kind auch. Ich werde Ihnen nichts sagen.«
»Sie haben es schon getan. Ich weiß, wen Sie meinen. Das Kind ebenfalls, nehme ich an?«
Cors zögerte. »Strahlungsschäden. Atomblitz-Verbrennungen. Die Frau hat eine gebrochene Hüfte. Der Vater ist tot. Die Plomben in den Zähnen der Frau sind radioaktiv. Das Kind glüht beinahe im Dunkeln. Erbrechen kurz nach der Explosion. Übelkeit, Anaemie, zerstörte Follikel. Blind auf einem Auge. Das Kind schreit dauernd vor Schmerzen von den Verbrennungen. Wie sie die Schockwelle überlebt haben, kann man sich kaum vorstellen. Ich kann nichts für sie tun, außer sie zum Eucrem-Team zu schicken.«
»Ich habe die beiden gesehen.«
»Dann wissen Sie ja, warum ich mein Versprechen gebrochen habe. Ich muß nämlich danach mit mir selbst weiterleben. Mann! Und ich will nicht weiterleben in dem Bewußtsein, der Folterknecht dieses Kindes und dieser Frau zu sein.«
»Ist es angenehmer, statt dessen, als ihr Mörder weiterzuleben?«
»Bei Ihnen verschlägt kein vernünftiges Argument.«
»Was haben Sie ihr gesagt?«
»Wenn Sie Ihr Kind lieben, ersparen Sie ihm den Todeskampf. Schlafen Sie mit ihm barmherzig ein, so schnell wie möglich. Mehr hab ich nicht gesagt. Wir werden jetzt sofort wegfahren.
Wir sind sowieso mit den Strahlungskranken fertig und auch mit den Schwerverletzten sonst. Den anderen wird es nicht viel ausmachen, ein paar Meilen zu laufen. Es gibt sonst keine kritischen Strahlungsfälle mehr hier.«
Zerchi rannte davon. Dann hielt er plötzlich inne und rief zurück: »Packen Sie zusammen«, er krächzte, »packen Sie zusammen, und dann verschwinden Sie. Wenn ich Sie noch mal hier sehe, dann weiß ich nicht, was ich tue…«
Cors fauchte: »Ich bin hier ebenso ungern, wie Sie mich hier sehen. Wir gehen jetzt. Vielen Dank!«
Zerchi entdeckte die Frau mit dem Kind auf einem Notbett im Flur des überfüllten Gästehauses. Sie waren unter einer Decke aneinandergeschmiegt und weinten beide. Das Gebäude roch nach Tod und Desinfektionsmitteln. Die Frau blickte auf, als sie die undeutliche Silhouette des Abtes vor dem Licht wahrnahm.
»Vater?« Ihre Stimme klang furchtsam.
»Ja.«
»Es ist aus. Sehen Sie? Sehen Sie, was die mir gegeben haben?«
Er konnte nichts sehen, doch er hörte, wie ihre Finger an etwas Papierenem zogen. Das rote Ticket. Er versuchte vergeblich, seine Stimme in die Gewalt zu bekommen, um mit der Frau zu sprechen. Er stand jetzt über dem Feldbett. Er suchte in seiner Tasche und zog einen Rosenkranz hervor. Sie hörte das Klappern der Perlen und griff danach.
»Sie wissen, was das ist?«
»Sicher, Vater.«
»Dann behalten Sie es, und benützen Sie es.«
»Danke.«
»Tragen Sie es, und beten Sie.«
»Ich weiß, was ich zu tun habe.«
»Werden Sie nicht mitschuldig. Kind, um der Liebe Gottes willen, tun Sie es…«
»Der Doktor hat mir gesagt…« Sie brach ab. Er wartete, daß sie zu Ende sprach, doch sie schwieg.
»Werden Sie nicht mitschuldig.«
Sie
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