Lobgesang auf Leibowitz
Bürgschaftsschreiben des Doktors. Wahrscheinlich wertlos, dachte er. Aber immerhin, der Mann war aufrichtig. Und seine Arbeit liebte er mit Hingabe. Es war schon Hingabe nötig, um für das Gehalt zu arbeiten, das der Grünstern bezahlte. Der Mann hatte übernächtigt ausgesehen, überarbeitet. Wahrscheinlich hat er von Benzedrin und Krämpfen gelebt, seit die Bombe die Stadt auslöschte. Hat überall nur Elend gesehen und hat es entsetzlich gefunden und etwas dagegen tun wollen in aller Ehrlichkeit. Ehrlich und aufrichtig – das war ja das Schlimme dabei. Aus einer gewissen Entfernung wirkten die Gegner wie böse Feinde, aber wenn man genauer hinsah, dann entdeckte man die Aufrichtigkeit, und die war genauso groß wie die eigene. Und vielleicht war Satan der allerehrlichste von allen.
Er öffnete den Brief und las. Das Schreiben informierte ihn darüber, daß Bruder Joshua und seine Crew von New Rome zu einem nicht näher bezeichneten Ziel im Westen aufgebrochen seien. Der Brief wies ihn aber auch darauf hin, daß Informationen über Quo peregrinatur zum ZDI durchgesickert seien und daß der ZDI dem Vatikan Rechercheure geschickt habe, die alle möglichen Fragen über das Gerücht eines geplanten unerlaubten Raketenstarts gestellt hätten… Offenbar war das Raumschiff also noch nicht gestartet. Nun, bald würden sie alles über Quo peregrinatur wissen, doch mit Gottes Hilfe würden sie es zu spät herausfinden. Und was dann? fragte sich Abt Zerchi.
Die legale Situation war verwickelt. Nach dem Gesetz waren Raumschiffstarts ohne Zustimmung der Kommission illegal. Diese Zustimmung war nur schwer zu erhalten, und es dauerte endlos, bis man sie bekam. Zerchi war sicher, daß die Kommission und der ZDI der Ansicht sein würden, die Kirche verletze das Gesetz. Aber andererseits gab es seit anderthalb Jahrhunderten ein Konkordat zwischen der Kirche und dem Staat; danach war die Kirche eindeutig von Zustimmungsverfahren seitens staatlicher Stellen ausgenommen und erhielt andererseits die Garantie auf das Recht, Missionen »zu jeglicher Einrichtung im Weltraum und/oder zu jeglichem planetarischen Außenposten zu senden, die nicht von obengenannter Kommission für ökologisch kritisch oder für ungeregelte Unternehmungen geschlossen ist«. Jede Niederlassung im Raum war »ökologisch kritisch« und »geschlossen« zur Zeit, als das Konkordat abgeschlossen wurde, doch der Vertragstext des Konkordats gab der Kirche außerdem das Recht, »Raumfahrzeuge zu besitzen und ungehindert Reisen nach offenen Einrichtungen und Außenposten durchzuführen«. Das Konkordat war sehr alt. Es war in den Tagen unterzeichnet worden, als der Berkstrun-Interstellar-Antrieb noch ein Traum in der üppigen Fantasie einiger Leute war, die hofften, daß der Interstellarverkehr das Universum einem ungehinderten Zustrom von Siedlern öffnen werde.
Es war anders gekommen. Als das erste Sternenschiff als Zeichnung auf dem Papier geboren war, stellte es sich heraus, daß keine Institution außer der Regierung über die finanziellen und technischen Mittel verfügte, diese Schiffe zu bauen. Ferner, daß sich kein Gewinn daraus erzielen ließ, daß man Kolonisten nach extrasolaren Planeten zum Zwecke eines »interstellaren Merkantilismus« transportierte. Trotzdem hatten die Herrscher in Asien das erste Sternenschiff losgeschickt. Darauf war im Westen der Aufschrei zu hören: »Wollen wir zulassen, daß die ›minderwertigen‹ Rassen die Sterne erben?« Es folgte eine kurze Zeit voller hektischer Raketenstarts, die Kolonien von schwarzen Menschen, braunen, weißen und gelben Menschen in den Himmel katapultierten, in Richtung Centaurus und im Namen des Rassismus. Später hatten dann Genetiker grinsend dargelegt, daß – da jede Kolonistengruppe so klein sei, daß sie notwendigerweise durch Inzucht genetisch rezessiv werden würde, wenn sie nicht mit anderen Gruppen Kreuzehen auf dem Kolonisationsplaneten eingingen –, daß also ausgerechnet die Rassisten Rassenvermischung für das Überleben zur Unabdinglichkeit gemacht hatten.
Das einzige Interesse der Kirche im Weltraum hatte in ihrer Sorge für jene Kolonisten bestanden, die Söhne dieser Kirche waren und die von der Herde durch interstellare Entfernungen abgeschnitten waren. Und doch hatte die Kirche von der Verfügung des Konkordats, die ihr die Aussendung von Missionaren erlaubte, keinen Gebrauch gemacht. Es bestanden Widersprüche zwischen dem Konkordat und den Staatsgesetzen, nach denen die
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