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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Kommission ermächtigt worden war, zumindest dahingehend, daß das Staatsgesetz theoretisch die Aussendung von Missionaren beeinflussen könnte. Diese Rechtsunsicherheit war nie von einem Gerichtshof entschieden worden, denn es ergab sich nie ein Grund für einen Prozeß. Jetzt jedoch, wenn der ZDI die Gruppe Bruder Joshuas dabei ertappte, wie sie eine Interstellarrakete ohne Erlaubnis und ohne Auftrag der Kommission zu starten versuchten, jetzt wäre der Grund gegeben. Zerchi betete, die Gruppe möge davonkommen, ohne daß eine Gerichtsverhandlung angesetzt würde, die Wochen und Monate dauern könnte. Sicher, nachher würde es einen Skandal geben. Viele würden die Kirche nicht nur beschuldigen, sie habe sich gegen die Anordnungen der Kommission vergangen, sondern auch gegen die Nächstenliebe, indem sie kirchliche Würdenträger und einen Haufen von nichtsnutzigen Mönchen geschickt habe, wenn sie doch ihr Schiff als Asyl für arme Kolonisten, die nach Land hungerten, hätte benützen können. Der ewige Konflikt zwischen Martha und Maria wieder einmal.
    Abt Zerchi wurde plötzlich gewahr, daß die Hauptfarbe seiner Gedanken sich seit ein, zwei Tagen verändert hatte. Vor ein paar Tagen noch hatten alle darauf gewartet, daß das Firmament zerbersten würde. Aber neun Tage waren vorbeigegangen, seit Luzifer als Herr im Weltraum geweilt und eine Stadt zu Asche gebrannt hatte. Trotz der Toten, der Verstümmelten, der Sterbenden waren es neun Tage Schweigen gewesen. Da der Fluch so lange unerfüllt geblieben war, konnte vielleicht das Allerschlimmste abgewendet werden. Abt Zerchi hatte sich dabei ertappt, daß er an Dinge dachte, die nächste Woche oder nächsten Monat geschehen könnten, als wenn es – nach alldem – überhaupt wirklich eine nächste Woche oder einen nächsten Monat geben könnte. Und warum nicht? Bei seiner Gewissenserforschung entdeckte er, daß er die Tugend der Hoffnung nicht gänzlich verloren hatte.
     
     
    Ein Mönch, der von einem Gang in die Stadt zurückkehrte, berichtete an diesem Nachmittag, daß ein Lager für Flüchtlinge bei dem Parkplatz an der Autobahn, zwei Meilen weiter unten, errichtet werde. »Ich glaube, es ist vom Grünen Stern eingerichtet, Domne«, fügte er hinzu.
    »Gut«, sagte der Abt. »Wir platzen hier sowieso schon aus den Nähten, und ich habe drei Wagenladungen voll Menschen abweisen müssen.«
    Die Flüchtlinge machten Lärm im Hof, und der Lärm zerrte an den überreizten Nerven. Die beständige Ruhe der alten Abtei wurde durch fremde Laute zerrissen: das heftige Gelächter von Männern, die sich Witze erzählten, das Weinen eines Kindes, das Klappern von Pfannen und Töpfen, hysterisches Schluchzen, die Rufe eines Grünstern-Arztes: »He, Ray, hol mir mal’n Klistierschlauch!« Mehrmals hatte der Abt den Impuls unterdrücken müssen, zum Fenster zu gehen und den Leuten zuzurufen, sie sollten ruhig sein.
    Nachdem er es ertragen hatte, solange es ging, nahm der Abt ein Fernglas auf, ein altes Buch und einen Rosenkranz und stieg hinauf zu einem der alten Wachttürme, wo, wie er hoffte, die dicken Steinmauern einen Großteil des Lärms aus dem Klosterhof abhalten würden. Das Buch war ein dünner Band Verse, den die Legende einem mythischen Heiligen zuschrieb, der nur in der Fabel und in der Folklore der Ebenen kanonisiert war, nicht aber durch einen Akt des Heiligen Stuhls, doch in Wirklichkeit war das Bändchen anonym. Niemals hatte auch tatsächlich jemand den geringsten Beweis gefunden, daß eine Person wie der »heilige Dichter vom Wundersamen Augapfel« jemals gelebt habe: vermutlich war die Fabel aus einer Geschichte entstanden, nach der einer der frühen Hannegans von einem genialen Physiktheoretiker, der sein Protege gewesen war, ein gläsernes Auge erhalten haben sollte – Zerchi konnte sich nicht erinnern, ob der Wissenschaftler Esser Shon oder Pfardentrott gewesen war –, jedenfalls hatte der Wissenschaftler dem Prinzen erzählt, das Auge habe einem Dichter gehört, der für den Glauben gestorben sei. Er hatte nicht klar ausgesprochen, um welchen Glauben es sich handelte, dem der Dichter, der gestorben war, angehört hatte, dem Sankt Peters oder dem der texarkanischen Schismatiker, aber Hannegan hatte diese Tatsache immerhin hoch eingeschätzt, denn er hatte den Augapfel in den Griff einer kleinen goldenen Hand einfügen lassen, die bei bestimmten Gelegenheiten von Staatsbedeutung von den Prinzen der Harq-Hannegan-Dynastie bis heute getragen wurde.

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