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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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unter der Wüstensonne das Gesicht umschwirrten. Es war das Gefühl des Drohenden, Unerbittlichen, Sinnlosen. Es wand sich wie eine vor Hitze toll gewordene Klapperschlange, die sich auf das nächste vom Wind losgerissene Blatt stürzen würde.
    Ein Teufel war es, sagte sich der Abt, mit dem er handgemein zu werden suchte; aber der Teufel entschlüpfte ihm immer wieder. Der Teufel des Abtes war ziemlich klein, wie Teufel nun einmal sind, nur etwa bis zum Knie reichend, aber zehn Tonnen schwer und stark wie fünfhundert Stiere. So wie ihn sich Dom Paulo vorstellte, war er weniger von Bosheit als vielmehr von einem wahnwitzigen Zwang besessen, etwa nach Art eines tollwütigen Hundes. Er biß um sich, durch Haut, Fleisch und Knochen, einfach weil er sich selbst verdammt hatte und weil diese Verdammnis einen verdammenswert unersättlichen Heißhunger hervorrief. Und er war böse, nur weil er Gott verneint hatte, und die Verneinung war Teil seines Wesens oder zur Leere darin geworden. Irgendwo, dachte Dom Paulo, watet er durch ein Meer von Menschen, hinter sich eine Woge von Krüppeln herziehend.
    Was für ein Unsinn, Alter! schalt er sich. Wenn man lebensüberdrüssig wird, erscheint einem selbst die Veränderung von Übel. Denn dann wird die totengleiche Stille der Lebensmüden überhaupt von jeder Änderung gestört. Ach, es gibt den Teufel, schon gut; aber man sollte ihm nicht mehr als nur sein verdammtes Recht einräumen. Bist du schon so lebensüberdrüssig, altes Wrack? Doch die bange Ahnung blieb.
    »Meint Ihr, daß die Geier den alten Eleasar schon verspeist haben?« fragte eine ruhige Stimme neben seinem Ellbogen.
    Dom Paulo fuhr hoch und blickte sich im Dämmerlicht um. Die Stimme war die Pater Gaults, seines Priors und wahrscheinlichen Nachfolgers. Er stand da, spielte mit einer Rose und sah verlegen drein, weil er die Einsamkeit des alten Mannes gestört hatte.
    »Eleasar? Du meinst Benjamin? Wieso? Hast du in letzter Zeit irgend etwas über ihn gehört?«
    »Eigentlich nicht, Vater Abt.« Er lachte schüchtern. »Es schien, als blicktet Ihr hinüber zur Mesa, und ich dachte, Ihr würdet über den alten Juden nachdenken.« Er schaute zum amboßförmigen Berg hinüber, der sich deutlich von einem grauen Himmelsstreifen im Westen abhob. »Da steigt eine dünne Rauchfahne in die Höhe; ich vermute also, daß er noch lebt.«
    »Wir sollten nicht auf Vermutungen angewiesen sein«, sagte Dom Paulo kurz angebunden. »Ich will hinüberreiten und ihn besuchen.«
    »Das klingt ja, als wolltet Ihr noch heute nacht aufbrechen«, lachte Gault leise.
    »Morgen oder übermorgen.«
    »Seht Euch lieber vor. Man sagt, er wirft mit Felsbrocken auf Kletterer.«
    »Ich habe ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen«, gestand der Abt ein. »Ich schäme mich wirklich. Er ist einsam. Ich werde zu ihm gehen.«
    »Wenn er sich einsam fühlt, warum besteht er darauf, wie ein Einsiedler zu leben?«
    »Um der Einsamkeit zu entfliehen – in der Welt der Jugend.«
    Der junge Priester lachte. »Das mag ihm vielleicht sinnvoll erscheinen – nur ich verstehe es nicht ganz.«
    »Das wirst du, wenn du so alt wie ich – oder wie er sein wirst.«
    »Ich werde kaum so alt werden. Er erhebt Anspruch auf einige tausend Jahre.«
    Der Abt erinnerte sich und lächelte. »Weißt du, ich kann ihn auch nicht widerlegen. Ich lernte ihn kennen, als ich gerade Novize war, vor fünfzig und mehr Jahren, und ich schwöre dir, er sah genauso alt aus wie heute. Er ist bestimmt über hundert.«
    »Dreitausendzweihundertneun, sagt er. Manchmal sogar noch mehr. Ich denke, er glaubt es sogar. Eine interessante Verrücktheit.«
    »Ich bin mir nicht so sicher, ob er verrückt ist. Mehr ein Verstand auf Abwegen. Aber weshalb wolltest du mich sprechen?«
    »Nur drei Kleinigkeiten. Erstens, wie kriegen wir den Dichter aus den königlichen Gästezimmern heraus – bevor Thon Taddeo ankommt? Er müßte in ein paar Tagen eintreffen, und der Dichter hat Wurzeln geschlagen.«
    »Ich werde mich um den Dichter kümmern. Was noch?«
    »Die Abendandacht. Werdet Ihr in die Kirche kommen?«
    »Erst zur Komplet. Du übernimmst. Noch etwas?«
    »Ein Streit im Kellergeschoß, über das Experiment Bruder Kornhoers.«
    »Zwischen wem und warum?«
    »Also, Kern der albernen Angelegenheit scheint zu sein, daß Bruder Armbruster die Haltung des vespero mundi exspectando einnimmt und Weltuntergangsstimmung verbreitet, während Bruder Kornhoer glaubt, das Goldene Zeitalter stehe vor der

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