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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Bringt die Ziege also in die Stallungen. Ich werde sie ihm selbst zurückbringen.«
    »Warum?«
    »Weil wir nichts mit ihr anfangen können, genausowenig wie Ihr.«
    »Ha ha«, spottete der Dichter.
    »Ich bitte Euch, was soll das jetzt heißen?«
    »Thon Taddeos Besuch. Man wird, noch ehe er beendet ist, eine Art Bock brauchen, da könnt ihr Gift drauf nehmen. Besser eine Ziege als gar nichts.« Er lachte selbstgefällig vor sich hin.
    Der Abt wandte sich unwillig ab. »Macht hier jetzt nur Platz«, fügte er überflüssigerweise hinzu. Dann ging er in den Keller, wo jetzt die Memorabilien ruhten, um sich mit dem Zank dort auseinanderzusetzen.

14
     
    Die Kellergewölbe waren während der Jahrhunderte angelegt worden, als die Nomaden von Norden her einströmten, als die Horde der Bayring die Ebenen und die Wüste fast vollständig überschwemmt hatte und jedes Dorf, auf das sie stieß, plünderte und verwüstete. Die Memorabilien, das winzige Erbe der Abtei an vergangenem Wissen, wurde in unterirdischen Gewölben eingemauert, um die unschätzbaren Schriften vor Nomaden wie auch angeblichen Kreuzfahrern der schismatischen Orden zu schützen. Orden, die gegründet worden waren, die Horden abzuwehren, die aber bald anfingen, wahllos auf Raubzüge auszugehen und sich in sektiererischen Hader zu verwickeln. Die Bücher der Abtei hätten sich weder bei den Nomaden noch beim Ritterorden des San Pankraz großer Wertschätzung erfreut, aber die Nomaden würden sie aus schierer Zerstörungslust vernichtet haben, und die Brüder des Ritterordens hätten viele davon als ketzerisch verbrannt, auf Grund der Lehre des Vissarion, ihres Gegenpapstes.
    Ein dunkles Zeitalter schien jetzt zu Ende zu gehen. Zwölf Jahrhunderte lang hatte man in den Klöstern eine winzige Flamme des Geistes mühsam am Leben erhalten. Erst jetzt war ihr Bewußtsein bereit, erweckt zu werden. Vor langer Zeit, im letzten Zeitalter der Vernunft, hatten gewisse stolzgeschwellte Köpfe behauptet, daß wahrhaftes Wissen unzerstörbar sei, daß Ideen unvergänglich, die Wahrheit unsterblich sei. Das stimmte indessen nur in des Wortes tiefster Bedeutung, dachte der Abt, und war dem Anschein nach ganz und gar nicht wahr. Wohl enthielt die Welt wirklichen Sinn, den außerhalb aller Moral stehenden Logos oder Weltentwurf des Schöpfers: doch solche Sinnbezogenheit war nur Gott erkennbar, nicht den Menschen, ehe sie nicht einer unvollständigen Verkörperung, einer dunklen Spiegelung dieses Sinns in Geist, Sprache und Kultur einer bestimmten menschlichen Gesellschaft gewahr wurden. Die Gesellschaft würde diesem Sinngefüge Bedeutungen beilegen und es dadurch im Bereich ihrer Kultur in menschlichem Sinn wirksam werden lassen. Denn der Mensch nannte Kultur sein eigen, wie er eine Seele sein eigen nannte, doch waren seine Kulturen nicht unsterblich; sie konnten mit einer Rasse oder einem Zeitalter vergehen. Die menschlichen Spiegelungen des Sinngefüges und die Abbilder der Wahrheit waren uns dann entzogen; Wahrheit und Sinn lebten dann eingezogen im realen Logos der Natur und im unaussprechlichen Gottes. Die Wahrheit mochte ans Kreuz geschlagen werden. Doch bald vielleicht schon eine Auferstehung.
    Die Memorabilien waren voller alter Wörter, alter Lehrsätze, alter Betrachtungen des Sinnzusammenhangs, losgelöst von den Menschen, die vor langer Zeit gestorben waren, die wie ihre andersgeartete Gesellschaft von der Vergessenheit verschlungen worden waren. Nur wenig davon war überhaupt noch zu begreifen. Bestimmte Blätter schienen so sinnlos, wie dem Schamanen eines Nomadenstammes das Brevier vorgekommen wäre. Anderen war noch eine gewisse dekorative Schönheit eigen oder eine Regelmäßigkeit, die auf einen Zweck hindeutete, so, wie ein Rosenkranz Nomaden an eine Halskette erinnert hätte. Die allerersten Brüder des Ordens des Leibowitz hatten gewissermaßen versucht, dem Gesicht der gekreuzigten Kultur ein Schweißtuch der Veronika aufzudrücken. Mit dem Abbild des Antlitzes antiker Größe gezeichnet, hätte es sich gelöst, doch war das Bild nur schwach aufgeprägt, unvollständig und kaum zu verstehen. Die Mönche hatten das Bild bewahrt. Es war immer noch vorhanden, um von der Welt genau untersucht zu werden. Es kam auf die Welt an, ob sie versuchen wollte, es zu deuten. Nur für sich genommen konnten die »Denkwürdigkeiten« indessen kein Wiederaufblühen alter Wissenschaft oder hochentwickelter Zivilisation zustande bringen, denn Kulturen wurden von

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