Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
Vom Netzwerk:
war jung, ihr dunkles, lockiges Haar quoll unter einem Schal hervor und hob sich von ihrer olivgrünen Haut ab. Ihre Kleidung war einfach und schien ein wenig abgetragen vom dauernden Gebrauch. Unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen. Rudolfo fiel auf, dass sie hübsch war, aber von Kummer oder Schlafmangel gezeichnet. Wie wir alle , dachte er.
    Er machte einen schwungvollen Schritt auf sie zu und beugte
den Kopf vor ihr. »Meine Dame Lynnae«, sagte er. »Wenn die edle Dame Tam Eure Hilfe benötigt, dann steht Euch mein Haus zur Verfügung.«
    Sie wurde rot und macht einen Knicks. »Ich danke Euch, Herr. Es war sehr gnädig von Euch, uns aufzunehmen.«
    Dem Akzent nach eine Entrolusierin , dachte er, mit einem Anklang der Küsten des Südens . Also war sie wahrscheinlich aus dem Delta geflohen. Er schaute ihr kurz nach, als sie ging, und nach einem weiteren Blickwechsel zwischen den beiden anderen Frauen brach auch die Flussfrau auf. Plötzlich waren Rudolfo und Jin Li Tam zum ersten Mal seit der Nacht der Geburt mit ihrem Kind allein. Jin Li Tam klopfte auf die Bettlaken neben sich. »Komm und halte deinen Sohn, Rudolfo.«
    Komm und halte deinen Sohn. Bei diesen Worten regte sich etwas in ihm, wie in der Nacht, als sie in den Kindswehen gelegen hatte. Er ging zum Bett und setzte sich neben Jin, wo er das Bündel in Empfang nahm, das in seiner unerwarteten Umarmung leicht strampelte. Die Hautfarbe war inzwischen eher bleich als grau, aber die tiefliegenden Augen hatten sich nicht verändert. Rudolfo blickte auf. »Wisst ihr schon, was ihm fehlt?«
    Jin Li Tam nickte. »Ja.« Er bemerkte den Kummer und die Sorge in ihrem Gesicht und stählte sich. »Es waren die Pulver«, sagte sie.
    Rudolfos Herz zog sich zusammen. »Die Pulver?«
    »Ja. Die, die ich dir verabreicht habe.« Sie hielt inne. »Für die meine Schwester das Rezept besorgt hat.«
    Rudolfo blinzelte. »Wird es ihm bald besser gehen?«
    Sie schüttelte den Kopf, und als das letzte Licht der Abendsonne auf ihr Gesicht fiel, erkannte Rudolfo die Scham in ihren Augen. »Nein, wird es nicht. Ich muss meine Schwester finden.«
    Diese Worte weckten Rudolfos Erinnerung an die vor Anker liegenden eisernen Schiffe, an die Kolonnen von Dienern, die die
Ladung vor den Langbooten an den Anlegestegen aufstapelten, damit diese so viel wie möglich davon ins tiefere Wasser zu Vlad Li Tams Flotte brachten. »Sie ist bei deinem Vater«, sagte er, obwohl es eher eine Frage als eine Aussage war.
    »Davon gehe ich zumindest aus«, sagte Jin. »Aber ich habe einen Vogel geschickt, um ganz sicher zu sein.«
    »Wenn sie mit ihm gegangen ist …«, erwiderte er, »… es ist ein riesiger Ozean.« Rudolfo musterte das kleine Gesicht, sah, wie die winzige Brust um Atem rang, und wollte fragen, wie viel Zeit ihnen blieb, doch er fürchtete sich davor. »Nur die Götter wissen, wohin er geflohen ist.« Aber noch während er es sagte, fühlten sich die Worte falsch an. Nicht geflohen.
    Seine Verlobte sagte etwas, und seine Aufmerksamkeit wanderte wieder zu ihr. »Ich werde ihn finden«, sagte sie. »Ich muss.«
    In ihrer Stimme lag eine Entschlossenheit, hinter der sich auch Verzweiflung verbarg, für einen Außenstehenden kaum wahrnehmbar, aber Rudolfo hörte sie heraus und wusste, dass er behutsam vorgehen musste. »Hast du deine Reisepläne mit der Flussfrau besprochen?«
    Jins Blick verengte sich, und sie schob entschlossen das Kinn vor. »Es gibt nichts zu besprechen.« Sie hielt inne. »Ich kann es schaffen, Rudolfo. Ich werde mit jedem Tag stärker.« Aber ihre bleiche Haut und ihre stumpfen Augen sagten etwas anderes.
    Er lächelte und kitzelte seinen Sohn am Kinn. Noch während sich die Sätze in seinem Verstand formten, ersann er eine Strategie – aufs Geratewohl, so dass der Erfolg unmöglich vorherzusagen war. »Ich zweifle nicht daran, dass du es schaffen kannst«, log er. »Ich möchte einfach wissen, wie du es schaffen willst, während du dich um unseren Sohn kümmerst. Ich stelle lediglich die Frage, ob das eine Reise ist, die er wirklich antreten sollte. Dein Vater und sein Gefolge sind nun seit sieben Monaten auf See. Sie könnten inzwischen überall sein.«
    Er hörte an Jins Stimme, wie Ärger in ihr aufwallte. »Du
schlägst vor, dass wir unsere Späher auf die Suche nach ihm schicken?«
    Rudolfo schüttelte den Kopf. »Nein. Ich schlage vor, dass wir nicht dich und unser krankes Kind schicken. Denk einen Augenblick nach«, sagte er, »und du wirst

Weitere Kostenlose Bücher