Lobgesang
seiner Bundschaft mit den Sümpflern Genüge tun müssen, was die Neun Häuser der Neun Wälder in eine politische Lage brachte, die – milde ausgedrückt – heikel war.
Aber vor all diesen Pflichten musste er sich noch um eine andere Angelegenheit kümmern.
Er ging zum Schrank seines Vaters, dem Ort, an dem er jene wenigen persönlichen Besitztümer seiner Eltern aufbewahrte, die ihm etwas bedeuteten. Das Schwert seines Vaters hing dort zusammen mit der smaragdbesetzten Scheide, daneben der Jagdbogen seiner Mutter. Auf den Regalböden stand eine Reihe ihrer Lieblingsbücher – einige davon hatten sie Rudolfo und Isaak vorgelesen, als sie noch kleine Jungen gewesen waren. Und hinter diesen Büchern war die Kiste.
Rudolfo stellte sich auf die Zehenspitzen, griff über die gebundenen Bände hinweg und zog die Kiste heraus.
Er hatte mindestens zwanzig Jahre lang nicht in die Kiste geblickt, obwohl ihm seit beinahe einem Jahr bewusst war, dass er es würde tun müssen. Eine, wenn auch sehr kurze Zeit lang hatte er sich sogar darauf gefreut. Doch jener Tag am Scheiterhaufen
von Vlad Li Tams Aufzeichnungen hatte diese Hoffnung ausgebrannt und sie in etwas anderes verwandelt.
Bis der Junge gekommen ist.
Vom Zittern seiner Hände überrascht, griff Rudolfo in die Kiste und hob eine kleine Schachtel heraus. Darin lagen zwei einfache Ringe aus Silber, die seine Mutter und sein Vater am Tag seiner Geburt ausgetauscht hatten, so wie es die Zigeunerkönige und -königinnen vor ihnen getan hatten. Während er die kleine Schachtel in seine Tasche steckte, schloss er die Kiste sorgfältig ab und stellte sie zurück an ihren angestammten Platz.
Als er den Ankleideraum verließ, dachte er über das nach, was also nun vor ihm lag.
Er betrat das große Badezimmer, das seine Gemächer von Jin Li Tams Räumen trennte, und blieb einen Augenblick lang stehen. Dann spritzte er sich mit Fliederöl versetztes Wasser ins Gesicht und begutachtete seine tief in den Höhlen liegenden Augen in dem kleinen Spiegel.
Es war nicht so, dass er Jin Li Tam nicht liebte, dachte er, obwohl es eine andere Liebe war als die, die es hätte sein können. Es war eine Liebe, die sich eher auf Vertrauen und Effizienz gründete als auf Leidenschaft und Romantik. Allerdings hatte ihn jenes Gefühl eines tiefen Verlangens von Zeit zu Zeit, etwa während ihrer Wehen, abermals überwältigt, und er hatte sich an ihrer Gestalt erfreut, an der Art, wie sie sprach, am Leuchten ihrer Augen.
Aber diese Gefühle, sagte er sich in aller Vernunft, waren nicht erforderlich. Und schon gar nicht durfte man bei Staatsangelegenheiten und -verpflichtungen auf sie zählen. Dennoch hegte er die Hoffnung, dass eines Tages das, was einst mit dem Feuer eines Sonnenuntergangs zwischen ihnen begonnen hatte, wieder aufflammen würde.
Er vertagte seine Innenschau und ging zur Tür auf der anderen Seite des Badezimmers, wo er leise klopfte und wartete, bis seine Verlobte ihn hereinbat.
Jin Li Tam und Jakob waren nicht allein, aber das hatte er auch nicht erwartet. Die Flussfrau war bei ihr und eine junge Frau, die sich nicht wohlzufühlen schien, und alle drei waren um Jakob versammelt. Rudolfo schloss die Tür hinter sich.
Als er näher kam, tauschten Jin Li Tam und die Flussfrau einen schnellen Blick aus. Er hatte diesen Blick schon öfter gesehen – eine Mahnung der Flussfrau, Entschlossenheit bei Jin Li Tam.
Jin Li Tam wandte sich nun zu ihm um, und er sah, wie sich ihre Hände bewegten, weit unten an der Seite ihres Körpers. Ich muss etwas Schwieriges mit dir besprechen.
Gleich , erwiderte er. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Wie geht es unserem Sohn heute Abend?«
»So gut es ihm aller Erwartung nach gehen kann«, sagte die Flussfrau. Die alte Frau sah müde aus, aber das überraschte Rudolfo nicht. Sie hatte die letzten drei Tage in der Residenz verbracht, hatte sich ein paar Stunden Schlaf gegönnt, wo es möglich war, hatte ansonsten Tag und Nacht gearbeitet und sich um das Kind gekümmert.
Jin Li Tam versuchte, Rudolfos Lächeln zu erwidern, dann wandte sie sich an die junge Frau. »Lynnae«, sagte sie, »ich möchte dir König Rudolfo vorstellen.« Sie blickte wieder zu Rudolfo. »Ich habe mir die Freiheit genommen zu veranlassen, dass Lynnae uns mit unserem Kind hilft. Ich hoffe, das ist dir recht.«
Rudolfo erschien es seltsam, dass Jin sich eine Fremde suchte, obwohl ihr ein Haus voller Bediensteter zur Verfügung stand.
Er musterte das Mädchen. Sie
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