Lobgesang
in diesem Monat abspalten, ganz gleich, was wir tun.« Erlund sah auf, und sein Blick gab die Frage preis, ehe sein Mund sie aussprechen konnte. Lysias fuhr fort. »Der Statthalter dort hat nicht den Willen, sich zu widersetzen, und das Volk schreit nach Wahlen und plappert die Phrasen der Reformer über die ursprüngliche Gründungsurkunde der Eintracht und die ursprünglichen Absichten der Siedler nach.«
Als jene ersten Gründer ihre Städte errichtet hatten, war ein Schriftstück verfasst worden, das sich schließlich – wie alles andere auch – zu etwas ganz anderem entwickeln sollte. All dies hatte sich nämlich in jenen frühen Tagen ereignet, als die Gemeinschaft der Androfranziner noch in den Kinderschuhen gesteckt
war und mit ihrer zerlumpten, in Aschetönen gekleideten Armee in den tiefen Wäldern des abgeschiedenen Tals des Zweiten Flusses eine Festung ausgehoben hatte. Seit dieser Zeit lernte jeder Adlige des Deltas von Kindesbeinen an diese Gründungsurkunde in- und auswendig.
Erlund knurrte. »Idealistischer Müll. Diese Unruhen haben nicht das Geringste mit Freiheit zu tun oder damit, die naive Auslegung einer Urkunde zu erzwingen, die aus einer anderen Zeit stammt.« Zorn blitzte in den Augen des Aufsehers auf. »Diese Unruhen sind nichts anderes als ein Blick zurück auf die besseren, einfacheren Zeiten im Angesicht des wirtschaftlichen Niedergangs und der erbärmlichen Armut. «Er wartete einen Augenblick, als würde er überlegen, ob er sagen sollte, was ihm durch den Kopf ging, oder nicht. Dann sprach er es aus. »Mein Onkel hat das herbeigeführt, indem er Windwir zerstört und uns in einen Krieg gegen die Zigeuner und die Sümpfler manövriert hat.«
An der Tür wurde leise geklopft, und Erlund schlug auf eine kleine Messingglocke. Ein klarer Klang ertönte, die Tür öffnete sich, und sein Adjutant trat ein. »Edler Herr Erlund, Euer nächster Besucher ist hier.«
Erlund nickte und beugte sich vor. »Ignatio«, sagte er. »Mit seiner Lagebesprechung vom Geheimdienst.«
Noch eine Übereinstimmung mit Sethbert , dachte Lysias, den Geheimdienst und das Militär voneinander getrennt zu halten. Erlund handhabte diese Trennung mit so rigoroser Strenge, dass Lysias nicht daran zweifelte, Erlund hätte die Evakuierung und die Jagd auf die Attentäter von seinem Gefolgsmann Ignatio durchführen lassen, wäre der Vogel mit der Warnung nicht unmittelbar zu Lysias gekommen. Erlund hätte darauf bestanden.
»Ich danke Euch für Eure Zeit, edler Herr Erlund«, sagte Lysias. Als er sich zur Tür wandte, sah er den Leiter des Geheimdienstes in seinen dunklen Roben. Ignatio war ein enger Gefolgsmann Erlunds. Sethberts Geheimdienstleiter hatte er zu einem
frühen Zeitpunkt beseitigen lassen, weil er ihm nicht zugetraut hatte, sich mit der neuen Regierung zu arrangieren. Ignatio war der illegitime Sohn eines Erzgelehrten der Franziner, was ihm einen Vorteil verschaffte. Sein Blick wanderte durch den Raum und über Lysias, und als Lysias an ihm vorbeiging, zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel.
»General Lysias«, sagte er. »Ich habe gehört, Eure Männer haben die Angreifer gefunden. Das ist ganz hervorragend.« Es lag eine Botschaft in dieser Mitteilung verborgen, wie Lysias durchaus bemerkte: Ich habe gehört …
Natürlich hast du es gehört , dachte Lysias. Aber er lächelte. »Es ist ein Glücksfall.«
Ignatio verbeugte sich leicht und betrat das Zimmer, wo er den Platz einnahm, von dem Lysias sich gerade erhoben hatte. Lysias brach auf und bahnte sich den Weg durch die breiten Gänge der Jagdhütte, bis er den Treppenabsatz fand, der ihn zu den Vordertüren bringen würde. Ein ganzer Schreibtisch, der mit Berichten überladen war, wartete auf seine Aufmerksamkeit, und er machte sich eine gedankliche Notiz, seine zuverlässigsten Offiziere abermals die Ränge nach Spionen Ignatios durchkämmen zu lassen. Diese würden dann mit einem Schiff fortgeschickt werden, um in den aufständischen Gebieten das Kriegsrecht durchzusetzen, und eines Nachts in den kommenden Wochen würden sie auf Patrouille gehen und nicht mehr zurückkehren.
Ignatio betrieb seine Nachforschungen schamlos, und sosehr er es auch versuchte, Lysias konnte diesen Vorteil nicht ausgleichen. In den letzten sieben Monaten hatten sich zwischen Erlund und Ignatio seltsame Dinge abgespielt. Immer wieder hatte Lysias am Rande etwas davon mitbekommen: Ein ganzes Kellergewölbe war rasch von den Männern des Geheimdienstoffiziers in
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