Lobgesang
geschehen, Großvater.« Dann drehte sich der junge Mann um und ging zurück zum Steuerhaus, und Vlad blickte ihm nach.
Ein wahrhaft scharfer Pfeil. Eines Tages , dachte er, wird Mal mich ersetzen.
Später an diesem Abend nahm er drei der kleinen Beeren und zerdrückte sie im Kopf seiner Pfeife. Er zog ein Streichholz über die raue Täfelung der Wand seiner Prunkkajüte und hielt es an die Beeren, während er am Holm zog. Das rote Gemisch in der Pfeife verwandelte sich in violette Bläschen, und Vlad behielt den Rauch so lange in sich, wie er konnte, dann atmete er aus und nahm einen weiteren Zug.
Flüssige Konzentration breitete sich von seiner Lunge in den restlichen Körper aus. Vlad Li Tam seufzte und kletterte mit Pfeife und Streichhölzern in seine schmale Koje. Der Raum um ihn bewegte sich, und zuerst dachte Vlad, die Beeren wären stärker als sonst, oder die fünf Monate, die er der Pfeife entsagt hatte, hätten ihn womöglich empfindlicher gegen die Wirkung der Beeren gemacht. Aber als er spürte, wie ihm die Beine schwer wurden, um dann scheinbar völlig zu verschwinden, erkannte Vlad Li Tam den Irrtum in seinen Überlegungen. Als ihn die Erkenntnis traf, versuchte er, sie zu leugnen, aber er konnte es nicht.
Mal Li Tam klopfte nicht an. Er öffnete einfach die Tür und trat ein. Sein Lächeln war breit, als wolle er Vlad alle seine Zähne zeigen.
Vlad Li Tam rang um die Herrschaft über seine Zunge, aber sie sträubte und verzog sich, würgte seine Worte einfach ab. Er schloss die Augen vor dem Schwindel, der ihn hinabzog. Selbst die Fragen, die sich in seinem Geist bildeten, waren vernebelt
durch die Drogen oder was immer in die Beeren gemischt worden war.
»Du fragst dich«, sagte Mal Li Tam mit leiser, besonnener Stimme, »wie die franzinische Konditionierung deines Hauses so gänzlich fehlgehen konnte, so dass einer der Deinen dich verraten kann.«
Zweitausend Jahre der sorgfältigen Erziehung und Prägung, und es war nie zuvor passiert. Seine Kinder und Enkelkinder waren willig für ihn in den Tod gegangen, in dem Wissen, dass es der Zweck ihres Daseins war, ihm zu dienen, so wie er dem Licht diente. Unter seinem Vater und dem Vater seines Vaters war es genauso gewesen, und so seit Anbeginn ihrer Tage in der Neuen Welt. Vlad Li Tam versuchte zu nicken, versuchte seine Augen zu bewegen, aber er konnte es nicht.
»Bald wirst du jene treffen, die es dir zeigen können«, sagte Mal. »Für den Augenblick soll es genügen, einfach zu sagen, dass deine Zeit um ist, Großvater. Eine karmesinrote Sonne geht über den Benannten Landen auf, und dein Werk hat seinen Anteil dazu beigetragen. Alles, was das Haus Li Tam getan hat, hat diesem Ziel gedient.« Er hielt inne. »Auch alles, was ich getan habe, dient diesem Ziel.« Er hielt ein dünnes, schwarzes Buch hoch, und Vlad Li Tam blinzelte. Die Machart kam ihm bekannt vor, aber er hatte jene Bücher verbrannt, bevor er in See gestochen war, am Tag, als Rudolfo ihn am Rande jenes großen Scheiterhaufens gestellt hatte.
»Das hat dein Vater geschrieben und es mir hinterlassen«, sagte Mal Li Tam. »In den kommenden Tagen, wenn der Schmerz so groß wird, dass du jene mit Flüchen belegen wirst, die dir das Leben geschenkt haben, sollst du wissen, dass letzten Endes er es war, der dich verraten hat.«
Inzwischen drehte sich der Raum um Vlad, und der Schwindel, der an ihm zerrte, überwältigte ihn. Er bewegte sich nicht einmal, während sein erster Enkel ihm vorsichtig die Pfeife und
die Streichhölzer aus den Händen nahm, um sie auf dem Tisch neben dem Bett zu dem Beutel mit den vergifteten Kallabeeren zu legen. Stattdessen schloss er die Augen vor dem Schwindel und ließ sich in die Tiefe ziehen.
Anschließend begannen die Alpträume. Vlad Li Tam rannte nackt über den Knochenacker von Windwir, seine Lunge füllte sich mit der Asche, die seine blutenden Füße aufwirbelten. Über ihm füllte eine blutfarbene Sonne den gesamten Horizont aus. Und gleich vor ihm flatterte ein Bundrabe zwischen den Ruinen umher und hielt mit ihm Schritt, während Vlad rannte und rannte.
Als Vlad Li Tam aufschrie, lächelte der Bundrabe und ließ Zähne in seinem Schnabel sehen, die gar nicht da sein konnten.
Und dann verschlang die angeschwollene rote Sonne die Welt, während der Bundrabe sich an seinen Augen weidete.
Neb
Neb wartete gleich am Rande von Winters’ Träumen, wollte aber nicht eindringen und beobachtete sie lediglich aus der Ferne.
Ihre Träume, oder
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