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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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bernsteinfarbenen Juwelenaugen. Während des Sommers hatte er unter dem Zeltdach der Buchmacher sehr viel Zeit mit Isaak und den anderen seiner Art verbracht; auch als sie innerhalb der Residenz von Zimmer zu Zimmer gezogen waren und sie mit den Bänden der aus ihren Gedächtnisregistern wiederhergestellten Werke gefüllt hatten. Rudolfo hatte ein Dutzend Buchbinder angestellt, um mit ihnen Schritt zu halten, und jetzt, da die Handelswege durch die politischen Unruhen in den Benannten Landen unterbrochen waren, wurde flussaufwärts etwas oberhalb der neuen Bibliothek eine Papiermühle errichtet, und nicht einmal die würde mit den mechanischen Wunderwerken mithalten können. Daher hatte Neb keinen Zweifel, dass die Mechoservitoren etwaige Hinweise auf dieses Heiligtum des Lichts, falls es überhaupt welche gab, schnell aufspüren würden.
    Er zögerte und war plötzlich nicht mehr sicher, ob er den Pfad einschlagen wollte, über dem sein Fuß schwebte. Dann überantwortete er sich diesem Weg. »Wenn du mit dieser Berechnung
fertig bist, habe ich eine weitere. Sieh nach, was du für Hinweise auf den Namen ›Renard‹ finden kannst.«
    Als Isaak zu ihm aufblickte, zuckte Neb die Achseln. »Ich habe es geträumt. Vielleicht hat es nichts zu bedeuten.«
    »Ich werde mein Bestes tun«, sagte Isaak.
    Neb stand auf und streckte sich. »Ich werde eine Runde um das Gelände machen.«
    Isaak nickte, und seine Augen fingen wieder an zu flackern, während die Getriebe und Register und Räder sich mit flüsternder Genauigkeit unter seiner metallenen Haut drehten. Neb ließ ihn unter dem Baum sitzen und ging auf den Pfiff zu, den er zuvor gehört hatte.
    Während er marschierte, dachte er an seinen Traum und an Winters. Ihre Begegnungen dort wurden seltener, Winters’ Träume waren erfüllt von Gewalt und Verfolgung hoch oben auf den Hängen des Drachenrückens. Darin gab es keinen Platz und keine Zeit für Neb. Und seine eigenen Träume wandten sich nun in eine neue Richtung, zurück zu seinem Vater, Bruder Hebda, und nach Osten zu den Mahlenden Ödlanden.
    Gib Acht auf Renard , hatte sein Vater gesagt.
    Und morgen würde er den seltsamen Metallmann treffen, der den Wächtern am Tor seine Warnung überbracht hatte. Er ließ seine Erinnerungen zurück zu der Schneeballschlacht und dem Kuss in Rudolfos whymerischem Irrgarten wandern, rief sich Winters’ erdigen Geruch und die Weichheit ihrer Zunge ins Gedächtnis. Dies waren die Träume, die er sich für sie beide wünschte, nicht jene dunklen, verworrenen Labyrinthe, durch die sie nun in ihren Nächten rannten. Aber was er sich wünschte, war nicht von Belang. Von den Androfranzinern hatte er gelernt, dass der Dienst für das Licht sich nicht um das drehte, was man sich wünschte, sondern um das, was erforderlich war. Ein Verlangen, das über Wissen hinausgeht , hatte P’Andro Whym in seinem Vierzehnten Evangelium geschrieben, ist eine Jagd auf den Wind .
Etwas geschah in der Neuen Welt, und irgendwie waren er und Winters darin verstrickt. Ihre Träume litten unter dieser Bürde.
    Etwas in seinem Inneren warnte ihn davor, dass dies erst der Anfang war, dass auf ihren Wegen Blut und Kummer vor ihnen lagen. Aber neben dieser Erkenntnis gab es noch eine weitere: Wenn Winters und ihr Volk die Wahrheit sprachen, wartete am Ende von alledem eine neue Heimat auf sie. Eine neue Heimat, die Neb irgendwie für sie finden würde.
    Neb zwang sich, daran zu glauben, und tröstete sich so mit dem einen Funken Hoffnung, den er finden konnte.
    Rudolfo
    Rudolfo ritt über das Gräserne Meer, seine Zigeunerspäher schwärmten hinter ihm und zu seinen Seiten aus. Die Hufe seines Hengstes, magifiziert für Geschwindigkeit und sicheren Tritt, peitschten den verwehten Schnee auf, während sie Meile um Meile fraßen.
    Er konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, als er über die Steppe geritten war, die seine Neun Wälder umgab – es lag Monate zurück. Vor Windwir war er hier ununterbrochen unterwegs gewesen, war mit seinen Männern zwischen den Inseln aus uraltem Wald umhergezogen, hatte unter den violetten Baldachinen residiert, um in den neun Städten, die seine Regierungssitze darstellten, zu Gericht zu sitzen. Aber nun, da die Siebte Waldresidenz zum Mittelpunkt wurde, während die Bibliothek Gestalt annahm und immer mehr Flüchtlinge eintrafen, die nach Arbeit suchten, ritt er öfter auf seinem Schreibtischstuhl als auf seinem Pferd.
    Zu seiner Linken kletterte die Sonne immer höher in

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