Locke greift an
an. Das zweite Lied war »Überleben«, das Thomas, der Keyborder, für einen der ersten Auftritte der DEVILS geschrieben hatte. Ein ruhiger Sound, auch nicht gerade geeignet, den berühmten Funken zwischen Band und Publikum entstehen zu lassen. Sie mussten Gas geben. Eva spürte, dass sie sich steigern mussten, um Stimmen für die DEVILS zu gewin - nen.
»Leute«, rief sie ins Mikro, »jetzt gibt es von uns für euch die totale Partystimmung. Macht alle mit bei ›99 Luftballons‹ von Nena! «
Der Suchscheinwerfer richtete seinen Lichtkegel komplett auf Eva, die schmachtend, aber zugleich glockenklar zu singen begann: »Hast du etwas Zeit für mich, singe ich ein Lied für dich von 99 Luftballons …«
Die Band stieg kraftvoll ein - und es war genau das Richtige: Alles begann, den einstigen Superhit mitzusingen. Endlich
stieg die Stimmung. Es war zu spüren, die Band machte in diesen Minuten Punkte gut. Ronny hob vorsichtig den rechten Daumen und Thomas hielt den linken hoch. Ben trommelte sich gekonnt die Seele aus dem Leib und Locke hatte alles um sich herum vergessen. Er spielte sein Solo beinah wie im Schlaf. Er sah zu Eva hin, die mit dem Publikum flirtete, wie er es noch nie erlebt hatte. Als sein Part ruhiger wurde, nahm er die Gelegenheit wahr und lächelte ihr zu.
Dann endlich kam der Höhepunkt: der neue Fußballsong. Es funktionierte. Bei »You’ll never walk alone« sangen alle zweitausendfünfhundert Fans in der Halle mit. Allerdings pfiffen auch viele bei der abschließenden Zeile »Königsblauer S 04, Königsblau ist Schalke, König bist du im Revier - Königsblauer S 04!«
Nicht jeder in der Halle war nun mal Schalke-Fan …
Damit endete der Auftritt in einer Mischung aus Jubel und ein paar weniger wohlmeinenden Pfiffen. Zustimmung und Ablehnung nebeneinander. Locke sah es und hörte es und er freute sich. Die NEW KICKING DEVILS polarisierten - so nannten es die Fachleute, wusste er. Kein schlechtes Zeichen für eine gute Band.
Hinter der Bühne fielen sich alle glücklich in die Arme.
»Geschafft«, schrie Ronny, der ja sonst wirklich nicht der Lauteste in der Band war. Und Pfarrer Kelter stand dabei und zeigte das Victory-Zeichen. Ihr Musik-Trainer hatte eine Runde Malzbier organisiert und alle tranken erst einmal durstig und erleichtert. Nur Eva blieb wie immer sehr sachlich.
»Ich wäre froh, wenn wir unter die ersten fünf kommen würden«, sagte sie.
Locke nickte zustimmend. »Ich auch.«
Eine halbe Stunde Pause. Zeit, in der die Fans ihre Stimmkarten ausfüllen sollten. Zeit, in der die Spannung knisterte. In der Halle wurde es jetzt hell. Alles stürmte nach draußen an die Imbiss- und Getränkestände, und für die Bands im Backstagebereich begann die nervige Zeit des Wartens. Jeder sprach mit jedem und es wurden Tipps abgegeben, welche Gruppe wohl auf dem ersten Platz landen würde.
Sehr schnell war klar, dass Istanbul heiß gehandelt wurde. Locke unterhielt sich eine Zeit lang mit Halil, dem Leadsänger von Istanbul, über deren Musik und dann erzählte er ihm auch von seinen Problemen mit Matz.
Halil tröstete ihn etwas. »Wir Türken sind schon manchmal sehr dickköpfig, aber irgendwann wird Matz sich für eure Freundschaft entscheiden!«
»Was macht dich da so sicher?«, fragte Patrick nachdenklich.
»Mich hat mal einer ›Kanake‹ genannt«, antwortete Halil. »Ich war stinksauer; aber dann habe ich im Lexikon nachgeschaut, was das eigentlich bedeutet. Erstaunlicherweise nichts anderes als ›Mensch‹ . Keine wirkliche Beleidigung. Ich habe das dann bei der Gelegenheit dem Typ erzählt, der mich damit verletzen wollte. Erst war er ziemlich verdutzt, aber dann haben wir beide darüber gelacht, und es entstand eine prima Freundschaft.«
Locke nickte hoffnungsvoll. Er wünschte sich sehnlichst, dass es mit ihm und Matz genauso laufen würde. Allerdings, was er zu ihm gesagt hatte - dafür gab es keine freundliche Übersetzung …
Locke öffnete gerade den Mund, um das zu sagen, da ertönte ein lauter Gongschlag und eine Stimme verkündete über Lautsprecher: »Hallo, hallo! Alle Musikfans werden wieder in die Halle gebeten. Wir haben die Auszählung abgeschlossen. Es wird spannend!«
Halil grinste Locke an. »Vielleicht stehen wir ja gleich noch nebeneinander auf der Bühne, ansonsten - bis bald mal.«
Locke hob die Hand zum Gruß: »Man sieht sich …«
In diesem Augenblick hastete Joachim Kess mit vielen Zetteln in der Hand zur Bühne. Er schaute kurz zu den
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