Lockend klingt das Lied der Wueste
ersehnte.
Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Sein trauriger Blick gab ihr einen Stich. Passagiere strömten an ihnen vorbei, sie wurden angerempelt, aber Lisa achtete nicht darauf. Im Lautsprecher ertönte ein weiterer dreisprachiger Aufruf, an Bord zu gehen. Es wurde höchste Zeit für sie. Doch sie rührte sich nicht von der Stelle.
„Heirate mich, Lisa!“, drängte Karim. „Heirate mich und bleib bei mir in Moquansaid. Veröffentliche dein Buch, finde neue Themen für einen Bildband, aber geh nicht fort. Ich kann dir eine Anstellung bei Ausgrabungen einheimischer Archäologen beschaffen. Du darfst jedes Haus, das mir und Angehörigen meiner Familie gehört, von innen fotografieren. Und jedes Gebäude in der Stadt.“
Lisa legte ihm einen Finger an die Lippen. „Karim, bist du verrückt?“
„Ich wäre es, wenn ich dich gehen ließe. Gestern Abend, als Jeppa dich mit Hamid bekannt machte, wurde mir alles klar. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du dich womöglich einem anderen Mann zuwendest. Du weißt, dass ich Nura sehr geliebt habe. Aber nun liebe ich dich – auf eine andere, tiefere und innigere Weise. Du sagtest einmal, irgendwann würde ich wieder eine Liebe finden. Nicht um Nura zu ersetzen, sondern um in einer neuen Beziehung glücklich zu werden. Ich habe sie gefunden, diese neue Liebe – dich, Lisa. Du bist die Frau, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Lange habe ich mich dagegen gewehrt. Meine Mutter und Jeppa wussten längst über meine Gefühle Bescheid, bevor ich mir selbst darüber im Klaren war. Ich glaubte immer, Nura zu verraten, wenn ich mich einer anderen Frau zuwandte. Aber sie war ein großzügiger Mensch. Sie liebte mich und wollte immer nur, dass ich glücklich bin. Niemals hätte sie gewünscht, dass ich mich ganz in meine Trauer um sie vergrabe und darüber das Leben vergesse.“
Seine Worte machten Lisa überglücklich, dennoch hatte sie Bedenken. „Ich bin nicht wie Nura“, wandte sie leise ein.
„Ich weiß. Das möchte ich auch nicht. Du faszinierst mich so, wie du bist. Zum Beispiel, wie sich die Farbe deiner Augen verändert. Jetzt schimmern sie silbrig und ihr Ausdruck ist ganz traurig. Manchmal sind sie rauchblau, dann wieder grau. Ich könnte ein Leben damit verbringen, herauszufinden, was diese Veränderungen bewirkt.“
Ein Lächeln erschien auf Lisas Gesicht. „Wirklich?“
„Nun wechseln sie ins Blaue. Und dein Lächeln ist hinreißend, einfach ansteckend. Ich könnte dich den ganzen Tag beobachten, wie du dich über alle möglichen Dinge freust. Als du mich vor ein paar Wochen im Camp begrüßt hast, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als die gleiche Freude auf deinem Gesicht zu sehen, wenn ich am Abend nach Hause komme. Dich die ganze Nacht zu lieben und am Morgen in deine glücklichen Augen zu blicken. Mit dir zusammen zu kochen. Lisa, du hast meinem Leben wieder einen Inhalt gegeben. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, ohne dich zu sein. Sag, dass du mich heiraten willst. Wenn es dir in Moquansaid nicht gefällt, werden wir einen anderen Ort finden, wo wir uns beide wohlfühlen.“
„Aber ich liebe Moquansaid und die Wüste!“, rief sie glücklich. „Und ich würde nichts lieber tun als dich heiraten. Werden wir in deinem Wüstenzelt wohnen?“
Karim lachte befreit. Bevor Lisa sich versah, hatte er sie hochgehoben und herumgewirbelt. Reisende blieben stehen und schauten sie verwundert an, der Mann am Schalter rief ihnen etwas zu.
Karim antwortete ihm auf Arabisch.
„Was wollte er?“, fragte Lisa mit einem Blick über ihre Schulter. Das Bodenpersonal schloss gerade das Gate. „Mein Flug! Ich werde ihn verpassen!“
„Na und? Du hast gesagt, dass du mich heiraten willst. In ein paar Tagen werden wir nach Seattle fliegen, deine Sachen packen und hierher schicken lassen. Vergiss diesen Flug hier.“
Lisa blickte Karim forschend an. „Bist du sicher?“
„Dass ich dich liebe? Absolut. Du bedeutest mir genauso viel wie Nura, wenn nicht mehr. Nura und ich waren uns von Kindheit an vertraut. Bei dir ist alles neu und aufregend. Du faszinierst mich. Du begeisterst mich. Ich bin so verrückt nach dir, dass ich dich eine Woche lang lieben möchte. Sag, dass wir bald heiraten werden.“
Lisa wurde das Herz weit vor Freude. Vor Glück liefen ihr die Tränen über die Wangen. „Ich habe keine Familie, nur ein paar Freunde, die sicher kurzfristig herfliegen könnten. Es gibt keinen Grund zu warten, aber jeden
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