Lockend klingt das Lied der Wueste
ruhiger.
„Nach einer Ewigkeit kam endlich ein anderes Auto vorbei und hielt. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, und mein Vater kümmerte sich um mich. In meinem Fuß waren mehrere Knochen gebrochen. Es war derselbe Fuß, den ich mir bei dem alten Haus verstaucht habe.“
„Über ein solches Erlebnis kommt man sicher sein Leben lang nicht hinweg“, sagte Karim leise.
„Nein.“
Eine Zeit lang fuhren sie schweigend weiter.
„Warst du dabei, als deine Frau starb?“, fragte sie schließlich. Von seiner Mutter wusste sie nur, dass Nura an einem Aneurysma gestorben war.
„Es ist im Familienkreis passiert. Wir saßen gerade beim Essen, als sie plötzlich vor Schmerz aufschrie. Alle blickten erschrocken auf. Bevor ich reagieren konnte, war sie schon vom Stuhl gefallen. Sie ist sofort tot gewesen.“
„Du hast einen großen Verlust erlitten.“
„Du auch, Lisa.“
Wenn sie geglaubt hatte, dass diese Gemeinsamkeit sie einander näher bringen würde, belehrte Karims Reaktion sie eines Besseren. Er zog sich wieder in sein Schneckenhaus zurück.
Es war spät, als sie in der Ferne die Lichter des Camps schimmern sahen. Bei ihrem Eintreffen kam Professor Sanders aus dem Arbeitszelt. Lisa fühlte sich wie eine Verräterin.
„Wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht, Lisa“, begrüßte der Professer sie und wandte sich dann an Karim. „Hoheit, gibt es eine Möglichkeit, etwas für uns zu tun?“
„Leider kann ich nichts daran ändern, dass das Kulturministerium die Leitung der weiteren Ausgrabungen selbst in die Hand nimmt“, bedauerte Karim. „Aber natürlich wird man Ihnen zubilligen, dass Sie es waren, der die bedeutenden Funde gemacht hat. Ich werde auch mit dem Kulturminister sprechen, dass er Lisa ihre Fotos zurückgibt. Er hat kein Recht, sie zu behalten.“
„Mir geht es in erster Linie darum, welche Schätze dort unten noch verborgen liegen“, erwiderte Professor Sanders. „Unsere Funde stellen alles infrage, was wir über die Geschichte in diesem Teil der Erde wissen.“
Sie stiegen aus. Karim verschwand in Richtung Arbeitszelt. Lisa schaute ihm kurz nach und wandte sich an den Professor. „Es tut mir schrecklich leid“, sagte sie unglücklich. „Ich habe wirklich geglaubt, er könnte uns helfen.“
„Das Leben geht weiter, auch wenn es immer wieder Enttäuschungen für uns bereithält.“ Professor Sanders nickte ihr zu und ging zu seinem privaten Zelt hinüber.
Lisa aß eine Kleinigkeit und beschloss dann, zu duschen. Ein Blick auf den Duschplan sagte ihr, dass die Kabine im Moment frei war. Rasch trug sie ihren Namen ein und packte ein Handtuch und frische Sachen zum Anziehen in eine Tasche.
Die Dusche war ein Stück abseits vom Camp aufgebaut. Lisa hatte sich schon oft gewünscht, eine Seite der Segeltuchkabine wäre aus durchsichtigem Plastik, sodass man einen Ausblick auf die Wüste hätte. Das Wasser kam aus großen Containern, die an einem Holzgerüst hingen. Tagsüber wurde es von der Sonne aufgeheizt, am Abend war es dann auf eine angenehme Temperatur abgekühlt. Durch den Lattenrost am Boden konnte es abfließen, was in den letzten Wochen das Wachstum von allerlei Pflanzen angeregt hatte.
Als sie das Camp durchquerte, kam Karim auf sie zu. „Man wird deine Fotos aussortieren und sie dir morgen früh zukommen lassen“, teilte er ihr mit. „Ich habe darauf bestanden, dass sie die Negative mitliefern. Du darfst auch jeweils eine Kopie der Notizhefte behalten. Wenn du sie Professor Sanders überlassen willst, ist das deine Sache.“
„Wunderbar, Karim, vielen Dank! Dann hat er eine komplette Liste von allen Funden, die den Sommer über hier gemacht wurden.“
Er nickte. „Wolltest du spazieren gehen?“
„Nein, duschen.“
„Wo befindet sich die Dusche?“
„Etwas abseits, dort drüben, damit man ungestört ist. Keine Wasserleitung, nur Container.“
„Ich begleite dich“, entschied er.
Wollte er auf sie warten, während sie duschte? Als Lisa den Kopf wandte, begegnete sie seinem Blick. Es dämmerte bereits, doch sie glaubte, einen amüsierten Ausdruck auf seinem Gesicht zu erkennen.
Karim nahm die Segeltuchkabine in Augenschein und ging um sie herum. „Keine Bank?“
„Wozu?“
„Für die Leute, die warten müssen.“
„Wir haben einen Plan, da gibt es keine Wartezeiten.“
„Dann bleibe ich eben solange stehen.“
Bei dem Gedanken, sich nackt auszuziehen, wenn nur ein dünnes Stück Stoff sie von Karim trennte, durchflutete es ihren Körper
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