Lockende Kuesse
ihre Knie weich wurden.
»Ich möchte, dass du mir hilfst, Kleidung für die Reise zu kaufen, Barbara. Danach, wenn die Geschäfte geschlossen haben, können wir vielleicht in dieser neuen schicken Restaurants essen gehen. Ich glaube, Julia fühlt sich nicht allzu gut und ist froh, wenn man sie ein wenig allein lässt.«
Kitty erwarb ein goldgelbes Samtkleid mit einem quadratischen Dekollete und Puffärmeln. In einem anderen Geschäft kaufte sie eine grüne Wolljacke mit langen Ärmeln und einen dunkelgrünen Reisemantel mit dickem, abgestepptem Revers. Queen Viktoria hatte die derzeitige Mode geprägt, die hauptsächlich dazu diente, ihre zahlreichen Schwangerschaften zu kaschieren. Kitty war froh um die weiten Röcke, obwohl man ihr im Moment noch nichts ansah, doch in den kommenden Monaten würden sie ihr helfen, ihren Zustand zu verbergen.
Barbara und Kitty kehrten erst nach acht Uhr abends wieder zum Cadogen Square zurück. Sobald Kitty ihre Pakete in ihrem Zimmer abgelegt hatte, ging sie zu Julias Schlafzimmer und klopfte.
»Darf ich einen Moment reinkommen?«
Julias Stimme drang durch die Tür. »Hat wundervoll funktioniert, Kitty, aber ich habe in den letzten Stunden weiß Gott die Hölle durchgemacht. Das Schlimmste scheint jetzt vorbei zu sein, aber ich habe noch immer schreckliche Krämpfe.«
»Ja, das muss wohl so sein, aber ich glaube, es wäre dennoch besser, wir würden den Arzt rufen, damit er dich untersucht, bloß um sicherzugehen.«
»Aber Kitty, dann wird er doch Bescheid wissen!«, protestierte Julia.
»Er wird wahrscheinlich misstrauisch werden, das lässt sich kaum verhindern, aber er kann schließlich nichts machen, nicht wahr? Er kann das Baby ja nicht wieder einpflanzen, oder?«
»Aber was ist, wenn er mit dieser Geschichte zu Jeffrey geht?«
»Ich glaube, es wäre das Beste, wenn ich ihm einfach eine Nachricht schicke, dass du eine Fehlgeburt hattest und wir nach dem Doktor geschickt haben. Dann wird er sofort aus seinem Club herbeirennen oder wo er sonst um diese Zeit steckt, zerknirscht und voller Schuldgefühle, und wird dich mit Aufmerksamkeit nur so überschütten.«
»Du weißt aber eine ganze Menge über Männer, Kitty!«, sagte Julia voller Bewunderung.
»Ach, wirklich?«, fragte Kitty überrascht.
»Bitte bringt den kleinen Jeffrey heute Abend ohne mich zu Bett, und schickt seinem Vater sofort eine Nachricht. Terrance wird ihn sicher aufspüren können.«
Als Kitty mit Barbara zusammen das Baby badete, sah sie es sich ganz genau an. Es war ein typischer O'Reilly, genau wie Patrick als Baby gewesen sein musste. Es hatte einen dichten schwarzen Haarschopf, ein rotes Mündchen, das entweder vor Lachen krähte oder sein Missfallen mit den Menschen, die ihn umsorgten, laut in die Welt hinausbrüllte. Er war ein robuster, kräftiger Säugling mit wissenden, irischen Augen. Nicht ein Tröpfchen blaues Blut von seinem Vater zeigte sich in seiner kräftigen Statur. Sie betete, dass ihr eigenes Baby nur halb so prächtig werden würde.
Früh am nächsten Morgen nahm sie eine zweirädrige Droschke zum »Zweiköpfigen Schwan« in der Lud Lane. Dort verfügte man über sechzig Kutschen mit über tausend Pferden. Ein Platz oben auf dem Kutschbock kostete drei
Pence pro Meile, ein Sitz im Innern dagegen fünf Pence. Das Wetter war viel zu miserabel, um auch nur an einen Platz auf dem Kutschbock zu denken. Die Fahrt von London nach Bolton würde achtundzwanzig Stunden dauern, dazu musste man eine Übernachtung in Leicester rechnen. Der Kutscher würde mindestens einen Shilling Trinkgeld erwarten und der begleitende Wachmann eine halbe Krone. Kitty rechnete, dass ihr der Kopf rauchte. Fünf Pfund, ja, fünf Pfund musste sie wohl für diese Reise veranschlagen. Das viele Geld, das Patrick ihr gegeben hatte, war so erschreckend zusammengeschrumpft, dass sie Gewissensbisse bekam. Was zunächst wie ein aufregendes Abenteuer ausgesehen hatte, stellte sich rasch als ermüdende Plackerei heraus. Die Sitze in der Kutsche waren hart, und so überfüllt, dass man ständig drohte, seinem Nachbarn auf den Schoß zu rutschen. Die Straßen waren durch den Regen derart aufgeweicht, dass sämtliche Fahrgäste vor jeder steilen Anhöhe aussteigen mussten, da die Pferde die Kutsche im Schlamm nur ohne Inhalt hinaufzuziehen vermochten. Obwohl ihr Mantel vollkommen durchweicht und ihre Füße und bestrumpften Beine bis auf die Haut durchnässt waren, taten Kitty die Pferde herzlich Leid, und
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