Lockende Kuesse
an. Sie war überrascht, als sie ihn zischen hörte: »Warum hast du mich nicht sterben lassen?«
Sie rannte eilends ihre Herrin zu holen, und die kam mit einem solch besorgten Ausdruck und einer solchen Hast, dass ihm nie in den Sinn gekommen wäre, dass sie sich in all der Zeit, in der er fiebrig dalag, kein einziges Mal um ihn gekümmert hatte.
Ihr Lächeln war zärtlich, ihre Hände behutsam, als sie ihm eine starke Brühe fütterte, damit er wieder zu Kräften kam. Er jedoch blieb kalt und abweisend. Seine Augen verengten sich zu zornigen Schlitzen, wann immer sie auf sie fielen, und da wusste sie, dass sie eine schauspielerische Glanzleistung hinlegen musste, um den Panzer, den er um sich errichtet hatte, zu durchbrechen. Sie versuchte ihn mit Schnaps gefügig zu machen, hoffte, er würde sich ordentlich betrinken und danach seinen Kummer vergessen haben, doch Patrick enttäuschte sie. Ein Glas ums andere schob er beiseite. Da wusste sie, dass er seinen Schmerz um Kitty nicht vergessen, ja ihn sogar nähren wollte. Als er so weit genesen war, dass er das Bett verlassen konnte, hielt er sich von allen fern. Er war abweisend und in sich gekehrt, und sie musste ihre Anstrengungen verdoppeln, um überhaupt noch zu ihm durchzudringen. Das Grab übte eine merkwürdige Faszination auf ihn aus; er besuchte es sowohl während des Tages als auch in der Nacht. Er unternahm einsame Ausritte. Viele Male ritt sie hinter ihm her, doch alles, was sie erhaschen konnte, war ein flüchtiger Blick dann und wann, wenn er wie ein Sturmwind durch die Wälder galoppierte. Sie machte es sich zur Gewohnheit, abends auszureiten, um ihre Frustration abzureagieren. Das Schlafen wurde immer schwerer für sie. Unbemerkt beobachtete sie ihn, wie er zu Fuß zum Haus zurückkehrte.
»Er war schon wieder an diesem verdammten Grab«, sagte sie zu sich. Sie brodelte vor Eifersucht. Dann ging sie selbst zum Grab und blickte darauf hernieder. »Ich habe einen ganzen Garten voll perfekter Rosen und Kamelien, doch er pflückt Wiesenblumen für sie.« Ihre Mundwinkel wiesen nach unten, als sie nun gehässig auflachte. Wenn sie an das leere Grab dachte und an den Bären, den sie ihm aufgebunden hatte! Männer waren solch sentimentale Trottel! Wann würde er endlich aufwachen und weiterleben? Er wirkte zunehmend rastlos, und sie fürchtete, dass es nur noch wenige Tage dauern würde, bis er ihr seine Rückkehr nach England ankündigte. Sie zerbrach sich den Kopf, was sie anstellen könnte, damit er blieb und sie doch noch heiratete. Es dauerte nicht lange, und sie besann sich auf seine Schwachstelle.
»Mon cheri, wir müssen miteinander reden. Es kann einfach nischt so weitergehen.«
Seine Augen verengten sich. Er zündete sich eine Cheroot an und ließ den Rauch von seinem Gesicht aufsteigen, um seinen Gesichtsausdruck zu verhüllen.
»Findest du nischt, es ist allmählich Seit, dass du nach England surückkehrst?«
Als er darauf einen Moment zögerte, wusste sie, dass sie gewonnen hatte. »Isch weiß, wie sehr du sie geliebt hast. Sie war so jung, und du kannst es nischt ertragen, sie ganz allein hier surücksulassen, während du nach England surückkehrst. Da ist ein Band swischen euch, das nicht einmal der Tod durchtrennen kann.«
Er drückte heftig die Zigarre im Aschenbecher aus und ließ zu, dass sie die nackte Qual in seinen Augen sah.
»Bleib hier, mon cheri , heirate misch, und all dies Land wird dir gehören. Dann kannst du für immer bei ihr bleiben. Wir wären ein gutes Paar. Du würdest das sugeben, wenn du klar denken könntest.«
In den kommenden Tagen musste er wieder und wieder an ihre Worte denken. Die Wahrheit war, dass er schon seit einem Monat fort wollte, Kitty aber einfach nicht verlassen konnte. Er begann die Plantage mit spekulativen Blicken zu betrachten. Ja, er hatte dieser Tage sogar gelegentlich ein Lächeln für die Haussklaven übrig. Und wenn Jaquine nachts von ihrem Ausritt zurückkehrte, warf sie einen Blick hinauf zum Balkon, dort wo sein Zimmer lag.
»Ach ja«, dachte sie, »nicht heute Abend, aber bald. Bald wird er mich zu sich bitten.«
Jaquine war wie üblich ausgeritten und hatte Patrick seinem abendlichen Brandy überlassen. Topaz kam herein, um den Tisch abzuräumen. Sie lächelte ihn scheu an. »Kann ich Ihnen noch irgendwas bringen?«
»Ich bediene mich schon selbst, Topaz. Ich will nicht, dass du extra wegen mir aufbleibst, Kind.«
»Sie zu bedienen ist mir immer ein Vergnügen, Herr«,
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