Lockende Kuesse
Patrick auf. Dann fuhr er fort: »Ich überlege, selbst zu fahren. Dann könnte ich die beste Baumwolle aus den Carolinas einkaufen, die zu haben ist.« Er ließ diese Worte auf seinen Vater wirken.
James Leaver blickte kopfschüttelnd Jonathan O'Reilly an. »Und wir dachten, wir hätten große Ideen, als wir anfingen, aber wenn die beiden hier nicht aufpassen, werden sie noch in die Geschichtsbücher eingehen«, sagte er mit einem Zwinkern.
»Und wie zum Teufel soll ich drei Webereien führen, wenn du dich nach Amerika davonmachst?«
Lachend erwiderte Patrick: »Nun ja, ich werde ja nicht gleich morgen in See stechen, Vater.«
Kitty, die in ihrem kleinen Eisenbett im zweiten Stock lag, stellte sich noch einmal jedes hübsche Kleidungsstück vor, das sie eingepackt hatte. Sie stellte sich vor, es wären ihre Sachen. Ein aufregender Traum nahm sie gefangen. Sie befand sich in einem herrlichen Ballsaal und tanzte in dem schönsten Kleid, das man sich vorstellen konnte, und alle Köpfe drehten sich nach ihr um. Damen flüsterten hinter ihren Fächern, und sie blickte auf in die bewundernden Augen ihres Partners, der kein anderer war als ...
Auf einmal fiel ihr ein Kieselstein ins Gesicht. Ihre wohlige Schläfrigkeit war wie weggeblasen. Rasch fuhr sie hoch.
»Psst. Irin.«
Kitty lehnte sich aus dem kleinen Stubenfenster und sah Julia unten in der Auffahrt stehen.
»Bin ausgesperrt, Irin. Komm runter und mach mir die Haustür auf, aber ohne das ganze Haus aufzuwecken.« Kitty war schockiert über Julias Benehmen. »Ich muss um fünf Uhr aufstehen. Wie können Sie es wagen, mich um diese Zeit aufzuwecken, Sie egoistisches Ding!«
»Bitte, Irin!«
»Mein Name ist Kitty!«
»Bitte, Kitty!«
Kitty schlich die zwei Stockwerke hinunter und öffnete leise die Haustür. Mit missbilligend zusammengepressten Lippen musterte sie Julia. Kitty hatte keine Ahnung, wo sie gewesen war und was sie gemacht hatte, vermutete aber, dass es etwas Verbotenes war.
Julia blickte Kitty an und bemerkte: »Du siehst aus, als hättest du eine eingepökelte Bibel verschluckt.« Beide fingen an zu kichern und brachten sich mit hastigem Winken zum Schweigen. Als sie die Treppe hinaufgeschlichen und Julia sicher ihr Zimmer erreicht hatte, waren aus ihnen Verbündete geworden.
Hewlett-Packard
4
Montagmorgen stand Jonathan O'Reilly schon vor Tagesanbruch auf und machte sich auf den Weg zu den Webereien, entschlossen, die Zügel wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Zuerst im Falken, dann im Ägypter, dann im Gibraltar rief er noch vor Arbeitsbeginn die Männer zusammen und teilte ihnen mit, dass sie wegen der technischen Neuerungen mit einer erheblichen Lohnkürzung rechnen müssten. Die Arbeiter waren zornig und anstatt mehr zu produzieren, wurde es erheblich weniger. Unheil braute sich zusammen, das am Abend nach der Arbeit, wenn sie sich zusammenrotten konnten, zum Ausbruch kommen würde.
Patrick, der vom Vorgehen seines Vaters keine Ahnung hatte, hatte beschlossen, ihm die Leitung der Webereien für diesmal selbst zu überlassen und stattdessen mit einem Freund ein Pferderennen zu besuchen.
Kitty war indessen mit dem Aufwischen des Küchenfußbodens fertig, leerte den Eimer Schmutzwasser aus, und Mrs. Thomson hatte ein Einsehen mit ihr. »Ist schon fast zehn, Kindchen. Mr. Parker wird gleich hier sein, um Miss Barbara zu unterrichten. Der Unterricht findet jeden Vormittag von zehn bis zwölf in der Bibliothek statt. Du machst heute die Anstandsdame. Nimm den Staubwedel, und geh in die Bibliothek. Wenn du fertig bist, dann setz dich einfach ruhig hin und warte, bis die Stunden vorbei sind.«
Mr. Parker sah aus wie eine dürre kleine Ratte in einem zwar schäbigen, aber schicken Überrock . Kitty tat er fast Leid, bis sie sah, wie er es genoss, Barbara zur Schnecke zu machen. Er bestand darauf, dass sie all ihre Antworten auf die Schiefertafel schrieb, mündliche Äußerungen ließ er nicht zu.
Kitty ging langsam und möglichst unauffällig herum, hie und da staubte sie ein Regal ab. Als sie zur alten Standuhr kam, drehte sie deren Zeiger um eine Stunde vor, dann machte sie sich wieder ans Abstauben der Bücherregale.
»Miss O'Reilly, Sie sind einfach hoffnungslos in Mathematik, also lassen wir die Zahlen für heute beiseite und machen uns ans Buchstabieren. Und lassen Sie sich gesagt sein, junge Dame, wenn Sie auch nur einen Fehler machen, lasse ich Sie das Wort hundertmal schreiben. Das sollte Sie den ganzen Abend
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