Lockende Kuesse
Kittelschürze und sie wurde durch die Luft geschleudert. Ihre Schürze wurde in die große Baumscheibe gezogen. Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Nur die Tatsache, dass sie die Schürze so oft gewaschen hatte, rettete ihr das Leben. Der dünne, fast schon durchgewetzte Stoff riss vorne entzwei, und sie sank leblos auf den öligen Boden. Die Unfallsirene ertönte, und Patrick sträubten sich die Nackenhaare. Er rannte aus dem Büro, auf die Webschuppen zu, von woher das ganze Durcheinander zu kommen schien. Mit den Ellbogen boxte er sich durch die herumstehende Mädchentraube und blickte auf das zusammengesunkene Häuflein auf dem Boden, das zu klein schien, um ein menschliches Wesen zu sein. Es dauerte eine Minute, bevor ihn die Erkenntnis wie ein Schlag traf.
»Kitty, mein Gott!«
Es kam ihm vor, als hätte er einen Schwinger in die Magengrube bekommen. Im Saal herrschte eine brütende Hitze, und die Luft war so feucht, dass er kaum atmen konnte und sein
Gesicht innerhalb kürzester Zeit in Schweiß gebadet war. Er blickte auf ihre gestreifte Kittelschürze hinunter und fand sich zu seinem Entsetzen auf die Plantage zurückversetzt. Auch Kitty hatte hier geschuftet wie eine Sklavin, genauso wie die Schwarzen dort drüben. Behutsam hob er sie auf und trug sie zum Büro.
»Ich lauf und hol den Doktor, Mr. O'Reilly. Legen Sie sie hierher«, sagte der Vorarbeiter.
»Nein, nein. Mir wär's lieber, Sie würden mich heimfahren. Ich will keinen hiesigen Doktor.« Er war erschrocken über ihre wächserne Blässe. Rasch hob er sie in die Kutsche und legte sie sanft auf die Sitzbank. Dann hielt er ihre Hände, wobei er sie beim Streicheln ungeschickt mit seinen schwieligen Fingern kratzte. Kitty kam in der Kutsche zweimal zu Bewusstsein, aber ihre Augen flackerten nur kurz auf und schlössen sich wieder, ohne dass sie ihre Umgebung wahrnahm. Er riss die Haustür auf und brüllte: »Barbara, Mrs. Thomson, kommt schnell!«
»Was ist? Oh, Patrick, du hast sie gefunden!«, rief Barbara.
»Sie ist ziemlich schwer verletzt, fürchte ich. Mrs. Thomson, ist Julias Zimmer hergerichtet?«
»Aber natürlich, Sir. Wo haben Sie das arme Lämmchen denn gefunden?«
Er war kalkweiß, sein Mund ein grimmiger Strich, und sein Blick Furcht erregend.
»Sie hat in der Weberei gearbeitet. Es gab einen Unfall. Ich habe keine Ahnung, wie schwer sie verletzt ist. Bleibt bei ihr, während ich den Doktor hole. Ich hasse es, sie jetzt allein zu lassen, aber so bekomme ich am schnellsten Hilfe. Deck das Bett auf, Barbara. Haltet sie warm, und lasst sie ja keine Sekunde aus den Augen.«
Eine Viertelstunde später war er wieder da. Der Doktor befahl: »Helfen Sie mir, sie auszuziehen, damit ich sehen kann, wo sie überall verletzt ist.«
»Nein! Barbara, hilf Mrs. Thomson, sie auszuziehen, und um Himmels willen, seid behutsam.« Er blickte den Arzt entschuldigend an und sagte: »Sie fürchtet sich vor Männern.«
»Tatsächlich?«, bemerkte er trocken. »In diesem Falle muss ich Sie bitten, den Raum zu verlassen, bis ich mit meiner Untersuchung fertig bin.«
Widerwillig ging Patrick und zog die Tür hinter sich zu, doch blieb er draußen am Geländer stehen und wartete voller Ungeduld. Er fühlte sich miserabel. Zwanzig Minuten später kam der Doktor heraus.
»Sie hat einen Arbeitsunfall in Ihrer Weberei gehabt, stimmt's?«
»Woher wissen Sie das?«
»Lieber Himmel, Mann, ich war nicht immer ein Doktor für die feine Gesellschaft. Hab in den Slums angefangen. Ihre Gesichtsfarbe hat sie verraten, ist wie bei den Häftlingen im Gefängnis.«
»Wie schwer ist sie verletzt?«, erkundigte er sich ängstlich.
»Na ja, sie steht unter Schock. Sie hat eine Gehirnerschütterung, eine ausgerenkte Schulter, eine Fleischwunde am Bein, die ich gerade zusammengeflickt habe, dazu viele Blutergüsse und Abschürfungen. Abgesehen davon ist sie sehr schwach und abgemagert, und ihr Blutdruck ist erschreckend niedrig. Sie hat vielleicht Essenspausen gehabt, aber kein Essen, und die Arbeit in der Weberei war viel zu schwer für sie. Klingt alles ziemlich schlimm, aber das Einzige, was sie im Moment wirklich braucht, sind Ruhe und was Anständiges zu essen. Ich glaube, die Gehirnerschütterung wird sich von allein geben, wenn sie ruhig liegen bleibt, aber Sie müssen mitkommen und sie festhalten, während ich ihr die Schulter wieder einrenke. Würden die Damen für einen Moment das Zimmer verlassen, bitte?«, sagte der Doktor zu den Frauen.
Patrick hob
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