Lockende Kuesse
Kitty behutsam an und nahm sie fest in die Arme. Der Doktor ergriff Kittys Arm. »Das wird ihr jetzt höllisch wehtun.« Er riss an dem Arm, dass es knackte, und sie stieß einen gellenden Schrei aus und schlug die Augen auf.
»Patrick«, sagte sie schwach, »wo bin ich?«
»Du hattest einen Unfall in der Weberei, Herzchen, aber der Doktor sagt, es wird schon wieder. Versuch jetzt zu schlafen. Wir kümmern uns um dich.«
»Ich werde den Arm in eine Schlinge legen, das macht es ihr ein wenig leichter. Morgen komme ich wieder und sehe noch mal nach ihr.« Der Arzt war kaum zehn Minuten verschwunden, als Terry keuchend auftauchte und seine Schwester zu sehen verlangte.
»Der Doktor sagt, sie wird schon wieder, Terry, aber sie braucht Pflege und gutes Essen, und das soll sie auch kriegen - und wenn ich auf die Barrikaden muss. Wo habt ihr gesteckt? Wieso zum Teufel hat sie in der Weberei gearbeitet?«
»Haben Sie nicht die verdammten Schilder gesehen, >Kein Zutritt für Iren und Hunde«, fragte er bitter.
»Geh heim und pack deine Sachen. Ich weiß, dass Kitty keine ruhige Minute mehr hätte, wenn sie wüsste, dass du immer noch dort arbeitest, nach allem, was ihr zugestoßen ist.«
Bei all dem guten Essen und der vielen Bettruhe erholte sich Kitty zusehends. Barbara war ganz entzückt, denn sie besaß kaum Freundinnen in ihrem Alter; sie wollte sich unbedingt selbst um Kitty kümmern und alles für sie tun. Patrick empfand tiefe Erleichterung, als er sah, wie Kitty bei ihrer guten Pflege allmählich wieder aufblühte. Seine Schuldgefühle vergingen. Er war entschlossen, dass diesmal nichts schief gehen sollte. Er würde sie behutsam und geduldig umwerben. Er zwang sich, jeden Tag seinen Geschäften nachzugehen und nur eine halbe Stunde jeden Abend bei Kitty zuzubringen. Es schien zu funktionieren. Schon wartete sie ungeduldig auf seine Ankunft, und es machte ihm eine Riesenfreude, zu sehen, wie ihr Gesicht bei seinem Anblick jedes Mal aufleuchtete. Er hielt eine beträchtliche Distanz zwischen sich und ihr, mindestens den halben Raum, und gab ihr nur mit zärtlichen Blicken zu verstehen, was er für sie empfand. Etwa jeden zweiten Tag schickte er ihr Blumen und ging an seine Werbung mit einem generalstabsmäßigen Plan heran. Kitty registrierte jede Einzelheit, und langsam aber sicher begann sich seine Mühe auszuzahlen. Kitty wurde allmählich weich. Doch nicht ein einziges Mal dachte er an Heirat.
Eines Tages zog er Terry in die Bibliothek. »Würdest du gerne Vorarbeiter in der Weberei werden, Terry?«, erkundigte er sich vorsichtig.
»Hab jede einzelne Minute gehasst. Außerdem wird sich niemand was von einem Fünfzehnjährigen befehlen lassen.«
»Du brauchst eine Ausbildung, weißt du das? Wie wär's, wenn du zur Schule gingst?«
»Zur Schule? Ich? Sind Sie verrückt? Also das kommt gar nicht in Frage.«
»Wieso sollte ich auch Dankbarkeit von dir erwarten, du unverschämter irischer Dickschädel! Ich kannte mal einen Burschen aus Irland, der hier rüberkam und in die britische Armee eintrat, bloß um desertieren zu können!«, brüllte Patrick.
Beide brachen in Lachen aus, und Patrick schüttelte resigniert den Kopf.
»Ich mag Pferde!«, verkündete Terry ohne Zögern.
Patrick lehnte sich im Sessel zurück und überlegte ein paar Minuten.
»Ich werde den Leuten sagen, dass ihr zwei entfernte Cousins aus Irland seid, also kannst du nicht länger als Stallbursche arbeiten. Pass auf: ich habe einen Freund in Doncaster, das ist in Lancashire, der einen großen Rennstall besitzt. Würdest du gerne lernen, Pferdetrainer zu werden? Ich selbst habe mehr als nur ein beiläufiges Interesse an Pferden. Lern alles, was du kannst! Und wenn du wieder da bist, können wir uns überlegen, selbst ein paar Rennpferde zu kaufen und vielleicht ins Renngeschäft einzusteigen.«
Terry strahlte, als wäre gerade die Sonne aufgegangen. »Du siehst genauso aus wie deine Schwester, wenn sie ihren Kopf durchgesetzt hat«, sagte Patrick lachend.
Eines Tages, als Patrick von der Arbeit nach Hause kam, fand er Kitty im Salon vor. Sie hatte zum ersten Mal ihr Bett verlassen. Ihre Figur hatte sich wieder ein wenig gerundet, und ihr Haar war eine einzige glänzende Lockenpracht, noch schöner, als er es je gesehen hatte.
»Du siehst sehr gut aus, meine Liebe, aber du ermüdest wohl immer noch ziemlich rasch, nicht wahr?«
»Ein bisschen«, gestand sie scheu.
»Ich finde, du solltest in dein Bett hinaufgetragen
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