Lockende Kuesse
bemerkte kaum, wie ihm Grace Haynsworth, eine farblose junge Kreatur, die man nur mit dem Wort unscheinbar bezeichnen konnte, vorgestellt wurde. Es fiel ihm schwer, auf das zu achten, was Samuel Haynsworth sagte, denn jedes Mal, wenn er zu Kitty hinüberblickte, flüsterte ihr Keith irgendetwas zu. Zuerst schaute sie schockiert drein, das nächste Mal errötete sie anmutig und dann, verflucht noch mal, lachte sie ihn an! Wieder mühte er sich, dem älteren Mann zuzuhören, doch diesmal wurde er von Barbaras Gekicher abgelenkt. Er blickte die Tafel entlang und sah gerade noch, wie Keith Haynsworth die Hand unter der Tischdecke hervorzog. Kaum dass sie auftauchte, stach Kitty ihn mit der Gabel so heftig in den Handrücken, dass Blut hervorquoll und er die Hand rasch mit seiner Serviette abdecken musste. Es schien, als wäre Kitty durchaus im Stande, auf sich selbst aufzupassen, aber ihre Tischmanieren waren erschreckend. Patrick wandte seine Aufmerksamkeit Grace Haynsworth zu, die zu seiner Linken saß, und der Kontrast zwischen den beiden jungen Frauen hätte nicht größer sein können. Grace trug ein schlichtes weißes Gewand, und ihr blondes Haar, das ihr Gesicht wie ein goldener Heiligenschein umrahmte, ließ sie unschuldig und jungfräulich aussehen. Sie war still und beherrscht, jeder Zoll eine wohlerzogene junge Dame. Patrick dachte, dass sie der Typ Frau war, die ein Mann heiraten sollte. Sie wäre die perfekte Mutter für seine Kinder. Auch wenn sie ein unscheinbares Gesicht besaß, so war es doch süß und gelassen. Patrick vermutete, dass sie auch eine recht friedfertige Natur war, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass sie eine Szene machen könnte.
»Würden die Damen uns nun unserem Port überlassen, damit wir über Geschäfte reden können?«, sagte Samuel Haynsworth nicht gerade diplomatisch.
Patrick sah die rebellischen Blicke und freute sich, wie anmutig ihr Gast sich erhob und entschuldigte. Grace, die Anmutige, ja, der Name passte zu ihr.
Keith erhob sich ebenfalls und sagte: »Ich werde die Damen unterhalten, während ihr über Geschäfte redet.«
Patrick wollte verdammt sein, wenn er dem jungen Gockel freie Hand bei Kitty ließ. Er packte ihn an der Schulter und drückte ihn wieder auf seinen Stuhl zurück. »Setzen Sie sich, Sie wollen sich doch sicher nicht diesen ausgezeichneten Port entgehen lassen. Er stammt von meinen eigenen französischen Weingütern«, log er glatt. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem älteren Mann zu.
»Nun, Patrick, ich spiele mit dem Gedanken, eine Modell-Manufaktur zu gründen. Modern, automatisiert, die neuesten Maschinen. Eine sehr große Manufaktur mit vielleicht tausend Arbeitsplätzen.«
»Ich halte das für eine ausgezeichnete Idee, aber dafür ist sehr viel Planung und Geld nötig«, sagte Patrick, dessen Interesse sofort geweckt war.
»Nun, natürlich würde ich ein Unternehmen von solcher Dimension nicht allein führen wollen. Ich bräuchte natürlich einige Partner.«
»In meinen Webereien beschäftigen wir nicht mehr als etwa hundert Arbeitskräfte. Wie steht es mit der Unterbringung?«
»Wir könnten ein Modelldorf in der Nähe der Manufaktur errichten, mit einer Schule für die Arbeiterkinder und Ähnlichem.«
»Ich sehe schon, Sie haben gründlich über die Sache nachgedacht. Aber zuerst einmal bräuchten Sie ein großes Stück Land.«
»Nun, das ist das Einzige, wovon ich genug habe. Ich besitze alle Ländereien um Rose Bank und die Hälfte von Barrow Bridge.«
»An wen außer mir wollten Sie noch herantreten?«
»Nun ja, ich hab an Gardiner gedacht.«
»Gute Wahl. Wie wär's mit Bazley?«, schlug Patrick vor.
»Na klar! Wusste doch, Sie würden ein paar gute Ideen haben.«
»Hätten Sie etwas gegen Rückendeckung aus London?«, fragte Patrick.
»Nein, natürlich nicht. Was schwebt Ihnen da vor?«
»Nun, ich würde vorschlagen, wir machen die Pläne fertig und veröffentlichen einige Skizzen in der Illustrated London News. Vielleicht können wir ja sogar jemanden aus dem Unterhaus interessieren; die schwatzen doch dauernd davon, dass sie die Bedingungen für Industriearbeiter verbessern wollen. Das wäre ihre Chance, mal was Konstruktives zu tun.«
»Also London müssten Sie übernehmen.«
»Kein Problem; sagen Sie mir nur, wann Sie bereit sind.«
»Nicht so schnell. Alles, was ich zunächst mal von Ihnen wissen wollte, war, ob Sie den Plan für reell halten. Ich werde noch ein Weilchen darüber brüten und dann wieder auf
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