Lockende Versuchung
zusammen. „Verzeih, wenn ich zu Unrecht glaubte, die Bayards seien eine ehrenwerte Familie …“
„Du tätest gut daran“, fiel Edmund ihr ins Wort, „in Zukunft das Ehrgefühl eines Mannes nicht zu überschätzen, wenn es um eine Frau geht. Und spiele mir auch nicht die Unschuldige vor. Ich habe sehr wohl bemerkt, wie du meinem Vetter schöngetan hast.“ Seine Stimme wurde plötzlich lauter. „Er musste doch glauben, dass du über seine Aufmerksamkeit erfreut warst.“ Derb packte er Julianna am Oberarm und presste dabei seine Finger schmerzhaft in das Fleisch.
„Ist das die Art, wie du Crispin die Treue hältst? Wenn dem so ist, dann, beim Himmel, kannst du noch in dieser Stunde mein Haus verlassen!“
Julianna zuckte bei seinen Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammen und wünschte doch zugleich, sich Edmund hingeben zu können, jetzt, hier, und ihm alles zu gewähren, wonach es sie drängte. Sie hasste sich für das körperliche Verlangen, das in ihr brannte. Sie verachtete sich, weil sie diese Feuersbrunst nicht in ihre Gewalt bekam. Und sie hasste Edmund, weil er sienicht genauso begehrte wie sie ihn.
„Wenn es eine Entschuldigung für das Benehmen deines Vetters gibt, dann seine Überzeugung, dass eine betrogene Ehefrau es ihrem Manne gern mit gleicher Münze heimzahlen möchte“, erklärte sie bissig.
„Eine betrogene Ehefrau? Was redest du da?“
„Mache dir nicht die Mühe abzustreiten, dass du nicht aus reiner Nächstenliebe nach London gefahren bist, sondern um dich dort mit Vanessa zu treffen. Laurence hat es mir verraten.“
„Und du hast seinen Worten Glauben geschenkt?“ Edmund lachte zornig. „Hätte ich dich wohl gebeten mitzukommen, wenn ich ein Tête-a-tête mit einer anderen Frau vorgehabt hätte? Vanessa ist mir in London nicht unter die Augen gekommen. Ich nahm an, sie sei in Marlwood geblieben.“
Julianna suchte noch vergeblich nach einer passenden Antwort auf diese unerwartete Erklärung, als Edmund bereits fortfuhr: „Aber in Zukunft werde ich auf diesem Gebiet tun, was mir beliebt, und bestimmt keine anstrengende Reise nach London unternehmen, um dir delikate Einzelheiten zu ersparen.“
Wie mit Blut übergossen stand Julianna nach dieser unverblümten Ankündigung da, aber Edmund blickte nur ungerührt zum Himmel und sagte: „Wir sollten uns auf den Heimweg machen, solange es noch hell ist.“
„Nein, danke.“ Trotzig wickelte sich Julianna fester in Edmunds Umhang und schritt mit all dem Stolz, der ihr noch verblieben war, voraus. „Ich finde den Weg auch allein, so wie ich ihn gefunden hätte, wenn du nicht dazwischengetreten wärest. Meine Tugend habe ich schon gegen einen weitaus schonungsloseren Mann verteidigt als diesen einfältigen Gecken. Du kannst versichert sein, dass er nie mehr in der Lage gewesen wäre, einen Erben für seinen Titel in die Welt zu setzen, wenn er versucht hätte, mir Gewalt anzutun.“
Als sie den Hügel hinabstieg, brannten ungeweinte Tränen in ihren Augen, und bei jedem Schritt hallte Edmunds niederschmetternde Anklage in ihren Ohren wider: Ist das die Art, wie du Crispin die Treue hältst ?
17. KAPITEL
Als Julianna mit geradezu majestätischer Verachtung an Edmund vorüberging, ohne auch nur einen Blick zurückzuwenden, konnte er einen Anflug von Bewunderung nicht unterdrücken. Andere Frauen wären in Ohnmacht gefallen oder in hysterisches Schluchzen ausgebrochen. Sie aber hatte sich ohne viel Aufhebens sowohl gegen Laurence als auch gegen ihn selbst behauptet.
Ein Gefühl von Reue quälte ihn, denn er glaubte, wahrgenommen zu haben, wie sie unter seinem harten Griff angstvoll erzitterte. Ihr weiblicher Spürsinn musste ihr gesagt haben, dass er sie trotz seines selbstgerechten Eintretens für Crispin ebenfalls begehrte und vielleicht sogar bereit war, dieses Begehren auch gegen ihren Willen zu stillen. Wurde er dadurch nicht ein ebensolcher Schuft wie sein Vetter?
Voller Unruhe machte er sich auf, sein Pferd zu suchen, um Julianna in einiger Entfernung unbemerkt folgen zu können. Zum Glück saßen die Bewohner von Marlwood sämtlich am Abendbrottisch, als die beiden lautlos wie Gespenster den Ort durchquerten. Charlie Warbecks spitze Zunge hätte im anderen Falle wohl nie mehr Ruhe gegeben.
Auf dem endlosen Weg von der Klosterruine hinab nach Marlwood hatte sich Juliannas Zorn in das Gefühl tiefster Beschämung gewandelt. Sie war sicher, dass Edmund sie in Bezug auf Vanessa nicht belogen hatte, während es
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