Lockende Versuchung
für Laurence allen Grund der Welt gab, sie hinters Licht zu führen und damit zu veranlassen, ihren Gemahl auf das Schändlichste zu hintergehen. Wenn sie an Edmunds Anschuldigungen dachte, brannten ihr die Wangen. Hatte sie Lord Marlwood wirklich zu seinem Übergriff verlockt? Laurence hatte es mehr oder weniger ebenfalls so zum Ausdruck gebracht, und auch von Jerome war immer ähnliches behauptet worden. Woran lag das nur? Führte sie sich etwa unbewusst auf wie eine Dirne? Dieser Gedanke erschien ihr unerträglich.
Kurz vor Abbot’s Leigh hörte sie hinter sich den Hufschlag eines Pferdes. Nur das Bewusstsein, sich jetzt im Sichtbereich von Edmund zu befinden, hinderte sie daran, sich weinend in die tröstende Geborgenheit des alten Hauses zu flüchten. Sie biss die Zähne zusammen und behielt krampfhaft ihren stetigen Schritt bei. Die Ramsays hatten schließlich auch ihren Stolz, selbst wenn sie jetzt dem Namen nach eine Fitzhugh war.
Als Edmund die Gewissheit hatte, dass Julianna sicher daheim angelangt war, brachte er das Pferd in den Stall, nahm ihm eigenhändig den Sattel ab und versorgte es mit einer zusätzlichen Haferration. Diese einfachen Handgriffe beruhigten sein Gemüt so weit, dass er sich durch eine Seitentür ins Haus begeben konnte. Zu seinem Ärger begegnete er dennoch seinem Haushofmeister auf dem oberen Korridor. Mürrisch teilte er ihm im Vorübergehen mit, er sei zu müde, um Abendbrot zu essen, und wolle sich gleich zurückziehen. Zum Glück war Brock wohlerzogen genug, um keine weiteren Fragen zu stellen.
Mit einem Seufzer der Erleichterung schloss Edmund die Tür hinter sich und begann, endlich seine Reisekleider abzulegen. Brock hatte ihn offensichtlich doch schon früher kommen gesehen, denn in der Ecke des Schlafzimmers stieg Dampf aus einem Bottich. Wohlig ließ sich Edmund in das warme Badewasser gleiten und bearbeitete dann seinen Körper angestrengt mit einer Bürste mit Wildschweinborsten. Doch mitten in diesen Bemühungen hielt er unvermittelt inne. Konnte er auf diese Weise etwa auch Begehrlichkeit und Eifersucht abwaschen? Wohl kaum.
Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er letzten Endes selbst die Schuld an allem trug. Er hätte Julianna nicht allein lassen dürfen, nachdem er gemerkt hatte, wie Laurence um sie herumscharwenzelte. Auch hätte er nicht den Eindruck erwecken dürfen, als seien ihm Vanessas Schmeicheleien angenehm. Und schließlich hatte er, der doch um viele Jahre älter und erfahrener als Julianna war, nicht zu verhindern gewusst, dass eine Liebe in ihm aufkeimte, die ihm verboten war.
Dessen ungeachtet hatte er sich zum Richter über Julianna aufgeschwungen, hatte sie verdammt und ihr sogar gedroht, sie hinauszuwerfen! Plötzlich erschien Edmund das Badewasser eiskalt. Wenn Julianna nun tatsächlich nicht länger in einem Hause weilen wollte, wo man ihr weder Vertrauen schenkte, noch Achtung erwies? Großer Gott, was hatte er getan!
„Mylady, Euer hübsches Kleid! Was ist denn geschehen?“ Gwenyth schlug entsetzt die Händezusammen.
„Ach, lass mich allein, Gwenyth, und sprich mit niemandem darüber. Sage Mrs Tully, dass ich zum Abendessen nicht hinunterkomme.“
„Gewiss, Ma’am.“ Nach einem raschen Knicks eilte das Mädchen davon.
Julianna warf sich aufs Bett und gab den so lange zurückgehaltenen Tränen nun endlich freien Lauf. Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, wischte sie sich die Augen trocken und begann, sich zum Schlafengehen auszukleiden. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel und auf die bläulichen Abdrücke von Edmunds Fingern auf ihrem Oberarm. Verwirrt stellte sie fest, dass der Riss in ihrem Hemd eine ihrer wohlgerundeten Brüste, gekrönt von einer festen, dunkelroten Spitze, enthüllte. Obwohl Julianna bei dem Gedanken, dass sie Edmund so unter die Augen gekommen war, heftig errötete, wünschte sie doch zugleich, dieser Anblick möge sein Verlangen geweckt haben.
Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie seine starken und doch zugleich sanften Hände die Geheimnisse ihres Körpers erforschten. Sie spürte seine Küsse und hörte im Geist den warmen, vollen Klang seiner Stimme, die ihr Zärtlichkeiten ins Ohr flüsterte …
Entsetzt riss sie die Augen auf und presste die Hand auf das Herz. Die Stimme! Sie hatte sie seit Monaten in ihren Träumen vernommen und gewähnt, sie gehöre Crispin, ihrem fernen, schattenhaften Liebsten. Aber es war in Wirklichkeit immer Edmunds Stimme gewesen! In qualvoller Deutlichkeit
Weitere Kostenlose Bücher