Lockende Zaertlichkeit
Freundin mitgebracht."
"Eine Freundin?"
"Sie heißt Olivia."
Da wurde Marcus rot vor Zorn und schrie Sally an: "Was soll das, verdammt noch mal? Das hier ist doch keine Peep-Show!"
"Aber Daddy ..."
"Was glaubst du, wer ich bin?" fuhr Marcus wütend fort. "Ein Monster, das man sich ansehen muss? Was hast du deiner kleinen Freundin erzählt? Komm mit, und sieh dir meinen Vater an, er ist blind?"
Sally war kreidebleich geworden, und Tränen schössen ihr in die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf und stürzte aus dem Zimmer.
"Und was ist mit Ihnen?" wandte Marcus sich zynisch an Olivia. "Wollen Sie nicht auch davonlaufen?"
"Nein, Dr. Hamilton", erklärte sie gefasst und wunderte sich selbst, wie ruhig ihre Stimme dabei klang. "Ich laufe nicht davon. Jedenfalls nicht vor einem so ungehobelten Kerl, wie Sie es sind. Sie haben Sally tief gekränkt, obwohl sie der Mensch ist, der Sie am meisten liebt. Und ich finde, Sie sollten sich bei ihr entschuldigen."
"Ihre Meinung interessiert mich einen feuchten Kehricht!"
"Sie werden Sie aber trotzdem zu hören bekommen, ob Ihnen das passt oder nicht!"
Olivia war nun so aufgeregt, dass sie am liebsten auch davongelaufen wäre. Aber das würde weder sie noch Marcus weiterbringen. Sie hatte sofort erkannt, was in ihm vorging. Er hatte sich in sich selbst zurückgezogen, verweigerte jegliche Hilfe von außen und ließ niemanden mehr an sich heran.
Einerseits konnte er seine Erblindung nicht akzeptieren, doch andererseits kämpfte er auch nicht dagegen an, weil ihn die tiefe Bitterkeit, die ihn erfüllte, daran hinderte.
"Verschwinden Sie", befahl Marcus kalt.
"Ich bin noch nicht fertig, Dr. Hamilton", widersprach Olivia fest. "Ich weiß, dass Sally sich große Sorgen um Sie macht.
Weil Sie nicht an sich arbeiten und gar nicht erst versuchen, etwas an Ihrer Situation zu ändern. Wann hören Sie endlich damit auf, sich selbst zu bemitleiden, und fangen wieder an zu leben?"
"Und wofür, wenn ich fragen darf?"
"Für Sally, Ihre Schwiegermutter und für sich selbst. Sie sind ein begnadeter Arzt, und Sie ..."
"Oh, ich habe gar nicht gewusst, dass man inzwischen blinde Chirurgen engagiert", fiel Marcus ihr verächtlich ins Wort. "Sie etwa? Oder wollen Sie sich mir freiwillig als
Versuchskaninchen zur Verfügung stellen?" spottete er weiter und stand dann so unvermittelt auf, dass er über ein Stuhlbein stolperte.
Olivia war sofort bei ihm, um ihn zu stützen, doch Marcus stieß sie wütend von sich. "Fassen Sie mich nicht an, verdammt noch mal!"
Nun verlor auch Olivia die Beherrschung. "Was hätte ich denn tun sollen?" schrie sie zurück. "Sie fallen lassen?"
"Ganz genau!"
"Also gut, ich werde es mir fürs nächste Mal merken!"
"Es wird kein nächstes Mal geben!" schrie Marcus wutentbrannt weiter. "Und jetzt machen Sie, dass Sie rauskommen!" Er tastete sich weiter bis zum Bett und ließ sich wütend darauf fallen.
"Was ist denn hier los?" Simon Brooks kam zusammen mit Sally herein und sah zuerst Marcus und dann Olivia schockiert an.
"Schaff dieses Mädchen raus!" stieß Marcus mühsam beherrscht hervor.
"Nicht nötig, ich gehe freiwillig!" erwiderte Olivia erregt.
"Aber wenn ich Sally wäre, dann würde ich Sie zum Teufel jagen!" Dann lief sie aus dem Zimmer und lehnte sich im Gang schluchzend an die Wand.
Sally lief ihr hinterher und berührte sie sanft am Arm. "Du meine Güte, Olivia - was ist denn bloß passiert?"
Olivia wischte sich die Tränen weg und rang sich ein Lächeln ab, um Sally nicht noch mehr zu beunruhigen. "Ach, nicht der Rede wert. Dein Vater hat nur die Beherrschung verloren. Und das bestimmt nicht zum ersten Mal, wie ich mir vorstellen kann."
"Aber das war das erste Mal", widersprach Sally aufgeregt.
"Normalerweise sitzt er nur apathisch auf seinem Stuhl und spricht kaum ein Wort."
"Dann hat er das bei mir aber gründlich nachgeholt", erwiderte Olivia trocken.
"Ich ... ich kann kaum fassen, dass Daddy derart die Beherrschung verloren hat", fuhr Sally aufgeregt fort. "Das ist sonst gar nicht seine Art."
Olivia verzog das Gesicht. "Meine auch nicht."
"Aber es hat funktioniert, verstehst du das denn nicht? Der Streit hat Daddy aus seiner Teilnahmslosigkeit gerissen!"
"Das mag schon sein, Sally. Aber ich muss jetzt wirklich gehen. Schließlich habe ich meine eigene Patientin zu versorgen."
"Aber du..."
"Es tut mir Leid, Sally, aber ich muss zu Mrs. Jenkins. Ich ...
ich hoffe, dass es deinem Vater bald besser geht."
Olivia rannte fast,
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