Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?
Schafott, wo jetzt die Schule für die Amikinder steht, gesühnt. Aber das war ein Justizirrtum!
Der Mörder war nämlich gar kein Mörder. Etliche Jahre nach dem Tod des Unschuldigen gestand der echte Mörder. Er beichtete seine Tat auf dem Totenbett. Jetzt konnten sie ihn ja nicht mehr köpfen und er bekam die Absolution, da brauchte er auch nicht in die Hölle.
Er hatte als Jugendlicher seinen Onkel mit einem Beil erschlagen. Der Onkel wollte anscheinend kein Geld herausrücken. Als der Onkel tot blieb, bekam es sein Neffe mit der Angst. Da verschaffte er sich ein Alibi, indem er schnell in die Stadt fuhr und in einem Wirtshaus so rumkrakeelte, dass er ziemlich auffiel. Die Gäste behaupteten später, er sei den ganzen Tag über schon da gewesen. Außerdem war er furchtbar entsetzt über die Bluttat und schwur dem Mörder sehr glaubhaft Rache.
Der Verdacht fiel auf einen alten Feind des Opfers, der einmal in aller Öffentlichkeit gebrüllt hatte: „Ich bringe Dich noch einmal um!“ Die Feinde waren mal ganz enge Freunde, bis sie sich in dasselbe Mädchen verliebten. Diese konnte natürlich nur einen heiraten. Sie nahm den, der später erschlagen wurde. Das merkte sie aber nicht mehr, weil sie zu dieser Zeit selbst schon lange tot war.
Jedenfalls machte einer den anderen schlecht, immer neues Gift wurde ausgestreut. Damals war Kattenbach auch noch viel kleiner als heute und die Leute kannten sich deshalb noch genauer. Es wurden Beweise gesucht und gefunden. Kurz und gut, dem Mann wurde der Prozess gemacht und er wurde hingerichtet.
Das war übrigens die letzte öffentliche Hinrichtung auf dem Schafott. Bis zum Schluss hat der arme Mann seine Unschuld beteuert. Als sich dann fünfzehn Jahre später herausstellte, dass er wirklich unschuldig war, war es zu spät. Sie haben ihn danach allerdings in die geweihte Friedhofserde umgebettet.
Ich hätte gern gewusst, wie die Leute geheißen haben, ich meine den Täter und sein Opfer. Aber Opa Walter rückte mit den Namen nicht heraus. Darum glauben Rita und ich, dass es in Kattenbach noch Verwandte von ihnen gibt. Wir wollen deshalb auch weiterforschen. Es müssen also Leute sein, deren Familien schon bei, oder vor der Gründung der Pulverfabrik hier gelebt haben. Da gab es zum Beispiel die Forstleute. Weil es bei uns so viel Wald gibt, haben wir immer noch zwei Försterfamilien. Da ist einmal Haralds Vater an der alten Flörsbacher Chaussee. Dessen Vater und Großvater waren schon Förster dort. Das hat Harald jedenfalls schon oft erzählt. Außerdem ist das Haus, in dem sie wohnen, schon ziemlich alt, noch älter als die Pulverfabrik. Auch das Forstamt Samendarre gibt’s schon ewig. Ja, das Haus ist sogar mal ein Lustschlösschen gewesen, also muss es schon an die zweihundert Jahre alt sein. Die Leute da drin kennen wir nicht. Sie wohnen einfach zu weit weg und haben keine Kinder in unserem Alter.
Dann gibt es noch eine dritte Möglichkeit: das Bahnhaus!
Bosses scheiden aus, sie wohnen ja erst ein paar Jahre da drin. Aber Herr Merkel, der Bahnhofsvorstand, hat seine Wohnung schon von seinen Eltern übernommen. Der Bahnhof ist ja schon in Betrieb, seit die Pulverfabrik gegründet wurde.
Da wir unseren Forschungsauftrag sehr ernst nehmen, haben wir einen Plan gemacht. Zuerst wollten wir die Familie vom Förster Grunz überprüfen. Dabei kam uns der Zufall zu Hilfe. Harald Grunz hat die Masern bekommen, und seinen Geburtstag musste er im Bett verbringen. Ach, er tat uns ja so leid! Ich schlug also vor, dass wir für ihn sammelten. Unser Lehrer fand die Idee geradezu rührend. Wir bekamen sogar etwas über zwei Mark zusammen. Dafür wurde ein Buch gekauft. Es hieß „Frühling im Försterhaus“, passte also sehr gut in ein Försterhaus. Jetzt mussten wir nur noch durchsetzen, dass Rita und ich ihn besuchen durften. Wir durften, weil ich ja die Idee gehabt hatte, für ihn zu sammeln. Und das auch noch während der Schulstunden! Rita hoffte außerdem, dass sie sich bei ihm anstecken würde. Sie wollte sich mal ein paar Tage von der Schule erholen. Ich hatte die Masern ja leider schon gehabt.
Harald kam aus dem Staunen gar nicht heraus, dass er Besuch hatte. Besonders überrascht war er natürlich auch, weil ausgerechnet Rita und ich die Besucher waren. Sonst hatten wir ja nie groß was miteinander zu tun. Helga, seine große Schwester, führte uns in den verdunkelten Raum, in dem Harald lag. Sie achtete auch darauf, dass wir Abstand von ihm hielten. Nachdem wir
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