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Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Titel: Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Essling
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ihm gratuliert hatten und auch die Klassengrüße ausgerichtet hatten, lud uns Helga zu einem Glas Limonade ein.
    Wir haben uns ganz unauffällig umgesehen. In dem dunklen Flur hingen massenhaft Schädel. Aber die waren nur von Rehen und Hirschen, denn es waren noch Geweihe dran. Wir saßen in der großen Wohnküche auf einer hellen Holzbank vor einem ebenso hellen Holztisch, auf dem eine rotkarierte Tischdecke lag. Auch hier hingen Geweihe an den Wänden, dazwischen aber Fotografien von Menschen. Zum Teil waren sie schwarz-weiß und sehr altmodisch.
    „Wann heiratet Ihr denn?“ fragte ich so ins Blaue hinein. Ich wusste nämlich, dass Helga mit Lothar Keller verlobt ist. Und der ist Geselle bei meinem Vater. Helga blickte zu Boden. „Wahrscheinlich im Frühjahr, wenn wir bis dahin eine Wohnung haben. Lothar möchte nämlich nicht, dass wir in der Mansarde bei seinen Eltern wohnen. Und hier ist es zu eng, wegen der Jungen.“
    Das konnte ich verstehen. Frau Keller, Lothars Stiefmutter, hat sich immer für was Besseres gehalten. Nur weil sie einen riesigen Busen und einen Pelzmantel besitzt. Helga ist dagegen ein liebes, unkompliziertes Mädchen, das ihr Leben lang ihrer Mutter bei der Aufzucht ihrer sieben Brüder geholfen hat. Klar, dass sie endlich mal ein eigenes Heim haben möchte. Da mein Vater den Lothar öfter mal mit zu uns nach Hause bringt, weiß ich auch, dass Helga es viel ruhiger haben wird, wenn sie verheiratet ist. Lothar ist nämlich zu faul zum Reden. Er verausgabt sich vollkommen beim Arbeiten, sagt Papa, da hat er keine Energie mehr für was anderes.
    Selbst zum Waschen und Rasieren reicht’s kaum. Er müffelt immer so ein bisschen. Als er noch Lehrling war, und das ist noch gar nicht so lange her, hat er wohl mal zu stark gemüffelt. In der Mittagspause fielen auf einmal die anderen Lehrlinge über ihn her und was hast du, was kannst du, haben sie ihn an einen Baum gebunden. Dann wurde er gründlich eingeseift und rasiert. Anschließend haben die Burschen den armen Kerl von oben bis unten mit einem Schlauch abgespritzt. Da schlotterte er in seinen nassen Klamotten rum, aber die Wäsche hatte sich trotzdem gelohnt. Da kam ein viel hübscherer Lothar raus.
    Wir haben die Fotos zwischen den gehörnten Schädeln bewundert. Eines zeigte die ganze Familie mit Hund vor der Scheune, als sie (die Scheune) noch nicht abgebrannt war. Da gab es Bilder von den ersten Schultagen der Grunzbuben, ja sogar eins von Helga. Wir fragten sie zu den einzelnen Bildern ein bisschen aus. Helga war ziemlich überrascht, dass wir uns auch für ihre Onkel und Tanten, ja sogar für ihren Urgroßvater interessierten.
    Rita seufzte auf, als sie ein Bild betrachtete, das einen jungen Mann mit hochgezwirbeltem Schnurrbart und verwegenem Gesichtsausdruck zeigte.
    „Der arme Mann!“
    „Wieso der arme Mann?“ fragte Helga verwundert. „Ich meine wegen seines späteren Schicksals …“ Rita konnte so überzeugend getragen und tragisch sprechen. „Was soll er denn für ein Schicksal gehabt haben?“ „Man hat ihn doch erschlagen, weißt Du das nicht?“ Ich versuchte, genauso unverfänglich zu klingen wie Rita, aber es gelang mir wohl nicht so ganz. Denn Helga lachte jetzt: „So ein Blödsinn, der ist über neunzig Jahre alt geworden. Meine Mutter sagt immer, der Onkel Heinrich sei der Methusalem in der Familie gewesen.“
    „Na, dann war’s wohl der hier!“ Rita tippte auf ein anderes Bild. Diesmal war der Mann älter, hatte eine Glatze und eine dicke Zigarre im Mund. Das Foto war reichlich vergilbt, es musste schon uralt sein. „Das soll mein Urgroßonkel Otto sein. Er ist als junger Mann nach Amerika gegangen. Überhaupt, was soll das? In meiner Familie ist noch nie jemand erschlagen worden, jedenfalls nicht in den letzten hundert Jahren. Es hat auch keiner einen anderen erschlagen, es sei denn einen Baum!“ Helga musste bei ihrem Witz unwillkürlich kichern.
    Also Fehlanzeige! Unsere ganze Diplomatie war für die Katz’.
    Da wir jetzt kein großes Interesse mehr an der Familie Grunz hatten, weil das ganz normale Menschen zu sein schienen, verabschiedeten wir uns bald. Zurück zur Schule zu gehen, lohnte sich auch nicht mehr, da wir nur noch zwei Schulstunden hatten. Der Heimweg dauerte ohnehin fast eine halbe Stunde.
     
     

Wir forschen weiter
    Am nächsten Nachmittag standen wir vor dem Bahnhaus. Ich hatte Herzklopfen. Rita bestimmt auch. Ich klingelte bei Merkels.
    Nichts!
    Ich klingelte nochmals.
    Wieder

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