Lockruf Der Nacht
Dunkelheit … Immer wieder lese ich den Satz nach dem Duschen an meinem Spiegel oder in meinem Traumbuch, der neben dem bereits vertrockneten Rosenblatt steht. Nur, wie komme ich dorthin?
Meine Härchen an den Armen stellen sich plötzlich auf, denn ein Gedanke nimmt Formen an. Payton. Payton hat sich von seiner bösen dämonischen Seite gezeigt. Was ist, wenn Mo sich nur verstellt hat und mich in den Tod locken will? Und was für eine Rolle spielt Yven in dem Ganzen?
Ich weiß langsam gar nichts mehr und manchmal habe ich das Gefühl den Verstand zu verlieren. Vielleicht habe ich wirklich auch nur Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder bin schizophren. Meine Tante, die Schwester meiner Mom, soll mit zwanzig in eine Nervenanstalt eingeliefert worden und dort gestorben sein. Keiner hat je über ihre Krankheit geredet, nicht meine Mom und auch nicht meine Großmutter. Vielleicht ist diese Krankheit ja vererbbar und ich bin die nächste in der Blutlinie, die davon betroffen ist.
Selten war ich so verzweifelt. Ich weine mich in den Schlaf, träume wirres Zeug und wache mit dicken Augen wieder auf, sodass ich erst einmal eine Stunde zwei kalte Löffel auf meine Augen halte, damit sie abschwellen, bevor ich unter Menschen gehe.
Die Hoffnung liegt in den Nächten und bleibt in jeder Hinsicht unerfüllt. Keine Abenteuer, kein Mo. Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsichtbare Arme mich umschließen und mir jemand etwas ins Ohr flüstert. Die Worte sind wie eine fremde Sprache, ich kann sie nicht verstehen.
In manchen schlaflosen Nächten, kletter ich hoch aufs Dach, lege mich dort hin und konzentriere mich nur auf den Himmel, bis er mir ganz nahe erscheint. Ich stelle mir vor, dass er irgendwo da oben ist, eins ist mit der Dunkelheit und auf mich herabsieht. Wenn es regnet, lasse ich das Salz meiner Tränen sich mit dem Regen vermischen, sie davon spülen und mir das Gesicht reinwaschen. Wenn ich dann frierend dort oben sitze, fühle ich mich lebendig.
Der Gedanke, dass er weg ist, ist wie ein inneres Ertrinken und ein haltloser Fall ins Nichts. Nur eines lässt mich nicht ganz aufgeben. Ich habe zwar gefühlt, dass er es nicht so meinte, aber er hatte gesagt, er könne für längere Zeit nicht mehr kommen, das heißt, es wird der Tag oder die Nacht kommen, wo er wieder bei mir sein wird. Mo ist das Problem und die Lösung. Ich werde warten.
Draußen dreht sich die Welt weiter, die Zeit vergeht, nur meine eigene scheint stillzustehen. Es ist schon eigenartig, wie Mo von heute auf morgen mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt hat. Dort, wo vorher Sturm herrschte, ist eine Totenstille eingekehrt. Meine Augen haben ihren unwiderstehlichen Glanz verloren, mein Körper fühlt sich taub an und ich schweige. Anrufe von Bekannten wie Mara oder einer Freundin meiner Mom drücke ich weg, weil ich keine Lust habe zu reden, mich zu verstellen und vorzugeben, dass es mir gut geht. Es gibt für die Menschen um mich herum keinen plausiblen Grund für mein Verhalten, weil er in ihrer Welt nicht existiert hat, deshalb erspare ich mir jede Erklärung.
Meine Besichtigungen, die Kunden und ihre zahllosen dummen Fragen, alles geht mir auf die Nerven.
Lilith versucht noch gelegentlich mich auf eine Party mitzuschleppen, aber ich lehne jedes Mal ab, schiebe fadenscheinige Gründe vor, warum es gerade heute unpassend ist und schließlich gibt sie es auf. Ich kann und will keine Menschen um mich herum haben.
Obwohl Lilith bei mir wohnt, sehen wir uns selten. Wenn sie nach Hause kommt schlafe ich schon oder stelle mich schlafend, damit ich mich nicht unterhalten muss und wenn ich aufstehe, ist sie meist schon weg.
Mit der Zeit verblasst das Bild der Erinnerung von ihm, das Lächeln zerfällt, und das Einzige was mir bleibt ist das Ölbild des Seiltänzers an der Wand, auf das ich jeden Abend einen Blick werfe und ein Stich ins Herz bei dem Gedanken, wie es hätte sein können. Seine Küsse, seine Berührungen … ich kann sie nicht mehr auf der Haut spüren, sie sind wie fortgespült, ausradiert und gelöscht.
Der Sommer beglückt uns mit Wechselbädern. Mal ist es sehr heiß, dann wieder kühl. An kühleren Tagen jogge ich ziellos durch die Gegend, gehe auf Friedhöfen spazieren, fotografiere Daten, Steine, Bäume, Äste und schwarze Krähen. Man sagt, dass Krähen ganz besondere Tiere sind, weil man ihnen das Sprechen beibringen kann. Für die alten Götter waren sie Boten, die die Geheimnisse des Universums
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