Lockruf Der Nacht
ganzen Sommer lang Themenpartys in ihren Residenzen zu feiern. »Man wird sogar abgeholt? Aber so schnell bekommen wir doch gar keine Flüge.«
Lilith holt ein Blatt Papier aus ihrer Tasche, entfaltet es und legt es mir hin. Es ist ein Voucher für zwei Tickets von New York nach Newport. »Du hast sie schon gekauft? Aber was wäre gewesen, wenn ich nun Nein gesagt hätte?«
Lilith lacht. »Dann hätte ich mir etwas einfallen lassen. Entführung, Erpressung, Hungerstreik … irgendwie hätte ich dich schon rumgekriegt.«
Ich lache und schüttle den Kopf über meine verrückte Freundin.
»Ist also alles erledigt. Du musst nur dein Köfferchen packen, dir Gedanken um dein Outfit machen und mit mir zum Flughafen fahren.«
»Was bekommst du dafür?«
»Du bist eingeladen.«
»Danke. Ich bin beeindruckt.«
»Bitte, gern geschehen.«
Das Einzige, das ich über Newport weiß, ist, dass die Stadt im 19. Jahrhundert als Sommerresidenz des amerikanischen Geldadels populär wurde und die Häuser dort Schlösser und Burgen gleichen sollen. Ich bin also sehr neugierig, was uns da erwarten wird.
Wir essen nach langer Zeit wieder gemeinsam zu Abend und ich bin froh, dass Lilith da ist.
In der Nacht habe ich einen sehr unruhigen Schlaf. Immer wieder werde ich wach und jedes Mal habe ich das eigenartige Gefühl, dass jemand anwesend ist. Doch es ist nur eine Sinnestäuschung. Ich bin allein.
Am nächsten Tag stehen wir in einem Kostümfundus und suchen uns Kleider und Accessoires für dieses spezielle Wochenende aus. Lilith albert herum, tanzt etwas unbeholfen ein paar Charleston-Schritte mit fliegenden Armen und singt dazu. Als sie die Schuhe dazu sieht, höre ich einen Aufschrei, der durch den ganzen Laden geht. Die Schönsten waren es wirklich nicht gerade zu dieser Zeit.
Es ist das erste Mal seit Wochen, dass ich wieder lache und Spaß habe. Ich kann es kaum abwarten nach Newport zu kommen. Der Gedanke, dass Mo vielleicht dieses Mal auf dem Fest ist und sich outen muss, lässt die Schmetterlinge ziemlich viel Staub aufwirbeln.
Der restliche Tag geht im Zeitlupentempo vorbei. Ich kann nichts mit mir anfangen, probiere nur ein paar Kombinationen meiner geliehenen Kleider aus und laufe wie ein Tiger ruhelos im Käfig hin und her.
Ich bin froh, als es endlich Abend ist und mein Bett ruft.
Auf verschlungenen Wegen bin ich in einem paradiesischen Garten unterwegs. Am Wegrand stehen hohe Bäume, aus denen farbenfrohe, glockenartige Gebilde hängen, Blumen mit seltsamen Tierköpfen, die mir nachsehen und auf den Wegen stolzieren Vögel in bunten leuchtenden Gefiedern. Ich habe einen riesigen Schirm aus großen Palmwedeln in der Hand und lasse mich wie die haarigen Flugschirme einer Pusteblume vom Wind immer wieder ein zwei Meter in die Höhe heben. Laufen, fliegen, laufen, fliegen. Das mache ich eine ganze Weile, bis ich zu einem Teich komme, an dem eine Frau steht, die ein paar weiße Vögel füttert. Es ist meine Mom. Sie sieht so jung und hübsch aus. Ich nehme eine Hand voll Körner aus ihrem Korb und helfe ihr beim Füttern. Von überall kommen jetzt Vögel angeflogen und landen vor uns im Wasser. Einer davon ist pechschwarz.
»Dort, wo du hin willst, ist kein Licht, sondern nur Dunkelheit, Leia.«
»Wie meinst du das?«
Doch sie antwortet mir nicht. Sie singt nur vor sich hin und füttert weiter die Vögel.
»Mom?!«
Draußen ist es noch stockdunkel und totenstill. Plötzlich verdunkelt sich mein Dachfenster für eine Sekunde, nur einen Augenaufschlag. Mein Herz fängt an zu klopfen und kurz darauf höre ich Geräusche unten im Loft. Kann es sein, dass er gekommen ist? Ich schlage die Decke zur Seite und schleiche zur Treppe.
»Hab ich dich geweckt?« Lilith steht in einem weißen Negligé in der Küche und hält den Wasserkocher in der Hand. »Sorry, Schatz, ich konnte nicht schlafen. Ich bin nervös wegen morgen«, entschuldigt sie sich.
Mir geht es nicht anders. Ich gehe runter zu ihr und leiste ihr Gesellschaft bei einer Tasse Tee.
24.
Nach beinahe zwei Stunden Verspätung, Reiseübelkeit und einem kurzen Flug in einem zu kleinen Flugzeug kommen wir endlich in Newport an. Wir sind den ganzen Tag unterwegs gewesen, um einen kleinen Abschnitt auf der Landkarte zu überqueren. Wann wird die Teleportation endlich erfunden?
Draußen vor der Tür erwartet uns bereits ein cremefarbener Rolls-Royce mit Chauffeur.
Ich werfe Lilith einen vielsagenden Blick zu und steige ein. Über eine Stunde
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