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Lockruf Der Nacht

Lockruf Der Nacht

Titel: Lockruf Der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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stillschweigend in den vierzigsten Stock und verfolgen beide stumm die Digitalanzeige. Da ich schräg hinter ihm stehe, habe ich die Möglichkeit, ihn mir genauer anzusehen. Er hat feines, dunkelblondes, kurzes Haar, mit großen Geheimratsecken, eine Haifischnase und schmale Lippen.
    Der erste Ausdruck in den Augen des Klienten nach dem Öffnen der Tür ist immer entscheidend. In Mr. Claytons sehe ich sofort, dass ihm das Apartment zusagt. Natürlich spielt er den Desinteressierten, um den Preis noch ein wenig zu senken. Eine gewisse Spanne ist immer einkalkuliert, damit der Kunde fröhlich und zufrieden aus den Verhandlungen geht und denkt, er hat ein Schnäppchen gemacht. Die Chancen für den Verkauf des fünftausend Fuß großen Duplex mit der Aussicht auf den Central Park stehen schon mal recht gut. Sechzig zu vierzig, würde ich sagen. Ich führe ihn herum, als es plötzlich an der Tür klingelt.
    »Ah, das muss Jeanette sein.« Er sieht zur Bestätigung auf seine Uhr.
    Er ist also liiert.
    Als ich die Tür öffne, steht vor mir eine kleine, dunkelhaarige Person auf High Heels, in einem zu engen, zu tief ausgeschnittenen Kleid und einer Dior-Jacke mit Fuchsfellkragen darüber. Jeanette, höchstens fünfundzwanzig Jahre. Passt. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, marschiert sie an mir vorbei, sieht sich um und fängt an, ein Gesicht zu ziehen. »Not happy. Not happy«, sagt sie in zu hoher Stimmlage. Die beiden verschwinden gemeinsam nach oben und ich höre, wie er ihr versucht das Apartment schmackhaft zu machen.
    »Not happy«, höre ich sie wieder sagen.
    Ich wäre überaus happy , wenn ich hier einziehen dürfte, aber mich fragt ja keiner.
    Sie kommen runter. Er ganz gentlemanlike geht vor der Dame, damit sie, wenn sie stolpert, auf ihn fällt und ihn noch mitreißt. Seine Miene verrät mir: Die Verkaufschancen stehen nur noch zehn zu neunzig. »Wir überlegen uns das«, sagt er mit einem Bedauern im Gesicht.
    Null Prozent.
    Mit einem charmanten Lächeln, das er nicht vergessen soll, überreiche ich ihm meine Visitenkarte. »Rufen Sie mich einfach an.« Ich begleite die Herrschaften nach draußen zum Fahrstuhl und gehe zurück ins Apartment. Noch eine ganze Weile stehe ich am Fenster und genieße den Blick auf den Central Park. Hier oben ist eine himmlische Ruhe. Alles wirkt so klein, unwirklich und vergänglich.
     

3.
    »Du hast ihn rausgeschmissen?« Lilith sieht mich fassungslos an. »Du bist nicht mehr die Jüngste, Leia. Es wird immer schwerer werden, den Deckel zu finden.«
    Was redet sie da? Ich bin gerade mal achtundzwanzig und stehe in der Blüte meines Lebens. Und außerdem wollte sie mich doch nicht mit einem Alki verheiratet sehen. Oder vielleicht doch? »In deinem Alter würde ich mir eher mal Gedanken machen. In Asien würde dich altes Stück keiner mehr mit dem Arsch angucken.« Ich grinse frech und Lilith gibt ein verächtliches Schnauben von sich. Sie ist gerade mal drei Jahre älter als ich und sieht bombastisch gut aus. Trotzdem ist sie Single. Das wird wohl daran liegen, dass sie für die meisten Männer zu anstrengend ist. Zu hohe Ansprüche, plappert viel und lässt nichts anbrennen.
    »Er hat mir zum dritten Mal im Suff in meinen Schrank gepinkelt. In meinen Schrank. Weißt du, was das bedeutet?« Ich bin aufgebracht. Sehr aufgebracht.
    »Oh ja, das weiß ich. Nicht mal ich darf deinen Schrank betreten und er markiert da drin sein Territorium wie ein Hund.« Sie lacht. Etwas zu laut und übertrieben. Drei Tische in dem Restaurant drehen sich nach uns um. Ihr Sarkasmus ist gerade wirklich fehl am Platz, doch ich sage nichts, stochere weiter lustlos in meinem Salat herum. Einen Streit zwischen Freundinnen kann ich jetzt nicht auch noch gebrauchen.
    Lilith legt ihre Hand auf meine. »Sorry, Schatz.«
    Ich glaube sie missinterpretiert meine Gemütsstimmung. Ich bin nicht im geringsten traurig, dass Joe nicht mehr da ist. Es war eine rein sexuelle Beziehung und so etwas ist meist nur von kurzer Dauer. Sobald man genauer hinter die Fassade des anderen blickt, sich die Tore des Alltags und der Launen öffnen, wird es ungemütlich.
    Ich kenne Lilith seit meiner Studienzeit, als ich auf der Suche nach einem Job war. Wie der Zufall es wollte, hatte der Fotograf der Galerie just an dem Tag seine Arbeit hingeschmissen, als ich bei Lilith reinschneite. Wir verstanden uns auf Anhieb und sie engagierte mich, um auf den Vernissagen die Gäste zu fotografieren.
    »Morgen kommen gute Leute.

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