Lockruf der Toten / Magischer Thriller
erklärte es ihm. Das Haus war Schauplatz mehrerer fürchterlicher Morde gewesen – ein junger Mann hatte dort seine Eltern und seine vier Geschwister umgebracht. Ein Jahr später hatte eine Familie das Gebäude gekauft. Sie behaupteten, Blut gesehen zu haben, das an den Wänden hinunterlief, dämonische Schweine und auch sonst noch alles Mögliche, waren aber dort geblieben – mit ihren verängstigten Kindern –, bis sie genug Material für ein Buch gesammelt hatten. Einen Bestseller. Und der Typ, der seine Familie umgebracht hatte? Sein Anwalt hatte es mit einer Satan-hat-mich-dazu-gezwungen-Verteidigung versucht und später auch Kontakt zu den neuen Hausbesitzern aufgenommen. Noch später behauptete er dann, die ganze Geschichte zusammen mit dem Ehepaar über einer Flasche Wein erfunden zu haben. Die Familie hatte vor Gericht dann zugegeben, dass sich zumindest
einige
der von ihnen behaupteten Vorfälle nie ereignet hatten.
Als ich fertig war, warf Grady einen Blick zu Claudia hinüber, die mich beäugte, als hätte sie mich im Verdacht, mir das Ganze gerade aus den Fingern gesogen zu haben.
»Stimmt alles«, sagte Becky. »Vor ein paar Jahren hat die katholische Kirche rausgelassen, dass sie dem Verlag eine ganze Liste von Unstimmigkeiten hat zukommen lassen … die ignoriert wurde. Ein einziger großer Schwindel. Hat aber eine Menge Geld eingebracht«, fügte sie mit einer gewissen Bewunderung hinzu.
»Überrascht mich nicht weiter«, murmelte Claudia. »Es ist Amerika.«
Grady bat mit einer Handbewegung um Ruhe, den Kopf zur Seite geneigt, als lausche er. »Bob ist zurück. Wir können wieder anfangen.«
Der Kameramann begann zu drehen.
»Danke, Bob. Bob hat mir gerade erklärt, dass die Ereignisse von Amityville ein erfundener Vorfall waren, fürchte ich, dem Habgier und die Sucht nach Ruhm zugrunde lagen.« Ein trauriges Kopfschütteln. »Unglücklicherweise gibt es solche Täuschungen, und wir müssen ihnen gegenüber wachsam bleiben. Aber, wie Bob mich soeben
auch
erinnert hat, wir müssen uns zugleich gegen die Gefahr wappnen, dass eine einzige Täuschung uns der überwältigenden Wahrheit des Bösen gegenüber blind werden lässt. Es scheint, als hätten diejenigen, die für Amityville verantwortlich waren, echte Ereignisse an anderen Orten als Vorbild für ihre Erfindungen eingesetzt, und hier in diesem Haus können wir ein solches Beispiel sehen …«
Sein Kopf fuhr hoch; seine Augen schlossen sich. Er begann so heftig zu zittern, dass Becky sich verspannte, als fürchtete sie einen Krampf, aber Claudia winkte beruhigend ab.
Gradys Arme legten sich um seinen Körper, seine Zähne klapperten, und mir wurde klar, dass der Krampf ganz einfach ein Schaudern sein sollte.
»Momma?«, sagte er in der Piepsstimme von vorhin. »Es ist kalt, so kalt und so dunkel. Ich habe A-a-angst.« Ein hoher Heulton, der sich mehr nach einem Automotor als nach einem Kind anhörte. »Der böse Mann kommt. Der böse Mann …«
Grady brüllte auf; sein Kopf flog nach hinten, seine Zähne lagen bloß. Seine Augen öffneten sich ruckartig und begannen wild zu rollen. Jeder Mensch, der ein paar von seinen Shows verfolgt hatte, hätte dies kommen sehen, aber Becky sprang auf und ließ ihr Clipboard fallen. Als sie es hastig aufzuheben versuchte, gestattete Grady sich ein winziges zufriedenes Lächeln, das augenblicklich zu einem Fauchen wurde; sein Kopf schlug vor und zurück, seine Hände griffen wie Klauen in die Luft.
»Er kämpft gegen die Inbesitznahme durch einen bösen Geist«, erklärte Claudia, ohne die Stimme zu heben.
»Ich verstehe«, sagte Becky. »Besteht eine Möglichkeit, dass der Geist gewinnt?«
»Etwa fünfundneunzig Prozent.«
Becky lächelte.
Grady hob sich ruckartig auf die Zehenspitzen und wurde dann vollkommen still. Eine sekundenlange Pause, bevor er keuchend und zitternd gegen die Wand sackte.
»Verdammt«, murmelte Becky.
»Warte«, flüsterte Claudia.
»Draußen«, sagte Grady zwischen zwei Keuchern. »Bob hat mir einen Raum gezeigt, einen kleinen dunklen Raum. Wir haben geglaubt, es sei dieser hier, aber ihm ist klargeworden, dass er sich geirrt hat; er sagt, wir müssen ins Freie gehen, zu einem Geräteschuppen.«
Er winkte dem Kameramann zu, mit dem Filmen aufzuhören.
Als Grady zur Treppe marschierte, rannte Becky ihm nach.
»Der Schuppen ist eine phantastische Idee«, sagte sie. »Er vermeidet, du verstehst schon, jede Ähnlichkeit mit Amityville, aber es gibt da ein
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