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Lockruf des Blutes

Lockruf des Blutes

Titel: Lockruf des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne C. Stein
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verängstigte kleine Mädchen ist wieder da.
    Ich strecke die Hand aus und berühre sie an der Schulter. »Wir fahren an einen sicheren Ort. Meine Eltern haben angeboten, dich über Nacht bei sich aufzunehmen.«
    »Warum sollten sie das tun?«
    »Na ja, genau genommen hatte meine Mutter die Idee. Sie weiß, dass die Presse nach dir sucht. Die wollen natürlich wissen, wie du auf all das reagierst. Aber sie werden bestimmt nicht auf die Idee kommen, dich im Haus deiner Schulrektorin zu suchen.«
    Trish blinzelt. »Ihre Mutter ist die Mrs. Strong?«
    Über ihr Gesicht muss ich lachen. »Jetzt wirst du sie von einer anderen Seite kennenlernen. Sie ist eine wunderbare Mutter.«
    Ich zögere, denke an das, was Darryl mir erzählt hat, und bin mir bewusst: Was ich Trish jetzt erzähle, wird das Bild ihrer Mutter, das sie im Gedächtnis behält, für immer prägen. Zögerlich fange ich an.
    »Deine Mutter ist gestorben, um dich zu schützen, Trish. Der Mann, der sie ermordet hat, dachte, sie wüsste, wo du dich versteckst.«
    »Er hat nach dem Computer gesucht.«
    Ich nicke. »Ja. Aber deine Mutter hat ihm nichts verraten.«
    Trish gibt ein bitteres Lachen von sich, das eher wie ein Schluckauf klingt. »Aber nur, weil sie nichts wusste.«
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie sich mit dem Handrücken über die Augen fährt. Sie holt zittrig Luft und fragt: »Wer war es?«
    »Er heißt Darryl Goodwin.«
    »Darryl?« Sie richtet sich auf. »Dieses Ekel? Der hatte aber mit den Videos nichts zu tun. Oder?«
    »Er war derjenige, der das alles eingefädelt hat. Aber es überrascht mich nicht, dass du nichts davon wusstest. Er war vorsichtig und hat darauf geachtet, dass er nie da war, wenn diese anderen Männer …« Ich weiß nicht, wie ich es aussprechen soll, also beende ich den Satz mit einem lahmen »… bei euch waren«.
    Lange herrscht Schweigen. »Was passiert jetzt mit ihm?« Ihre Stimme klingt verängstigt und leise.
    »Er kann dir nichts mehr tun, Trish, falls du dir deswegen Sorgen machst. Er ist tot.«
    Sie senkt den Kopf und sieht mich schräg von unten an. »Haben Sie ihn getötet?«
    Ihre Stimme deutet an, dass sie glaubt, ich hätte es getan. Ist es so offensichtlich, dass ich das wollte?
    Woher weiß sie das? Kann sie den Rausch spüren?
    Spüren andere Menschen ihn auch, wenn sie mich ansehen?
    Als ich nicht antworte, zuckt sie mit den Schultern. »Ist auch egal. Was ist mit den anderen Männern?«
    Sie braucht nicht deutlicher zu sagen, wen sie damit meint.
    »Die sind verhaftet. Sie haben den Mord an Barbara gestanden.«
    »Verhaftet?« Die Bestürzung in ihrer Stimme ist unverkennbar. »Heißt das, es gibt jetzt ein Gerichtsverfahren?«
    »Die Staatsanwältin wird tun, was sie kann, um die Männer dazu zu bringen, dass sie ein umfassendes Geständnis ablegen, damit dir der Prozess erspart bleibt. Immerhin werden ihnen Mord und andere schreckliche Verbrechen vorgeworfen. Aber, Trish, es ist möglich, dass sie auf einen Prozess bestehen. Niemand will, dass du das durchmachen musst. Aber wir können es möglicherweise nicht verhindern.«
    Sie fährt im Sitz zu mir herum. »Warum haben Sie sie dann nicht auch umgebracht? Dann wäre alles vorbei.«
    Ihr hitziger Vorwurf lässt die Luft um uns herum vibrieren. Als ich sie ansehe, verblüfft über diese heftige Reaktion, funkeln ihre Augen mich an, um sich sogleich wieder zu verdunkeln.
    »Entschuldigung«, sagt sie.
    Einen Moment lang stecke ich zu tief im Zwiespalt meiner eigenen Gefühle, um etwas zu erwidern. Ein Teil von mir gibt Trish absolut recht. Ich hätte sie töten sollen. Ich wollte es. Ich hätte die Computer mitnehmen oder mitsamt dem Haus zu Asche verbrennen können. Das wäre ganz leicht gewesen, und Trish wäre jetzt frei.
    Frey hat mich daran gehindert.
    Was, wenn er das nicht getan hätte? Habe ich ihn nicht genau deshalb gebeten, mich zu begleiten? Wusste ich instinktiv, dass ich mir nicht trauen durfte? Und Frey war einverstanden, weil er das auch wusste. Und Williams ebenfalls.
    Erst jetzt beginne ich zu begreifen.
    Ich bin nicht so stark wie der Lockruf des Blutes. Ich bin nicht so stark wie die Gier. Das war ich nie.
    Trish regt sich auf dem Sitz neben mir. Ich habe zu lange mit meiner Antwort gewartet, und sie wird unruhig.
    »Ist schon gut, Trish. Es ist nur natürlich, dass du so fühlst. Mir geht es ganz genauso. Ich habe Darryl nicht getötet. Aber ich wollte es. Ich wollte auch diese Männer töten für das, was sie dir angetan

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