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Lockruf des Blutes

Lockruf des Blutes

Titel: Lockruf des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne C. Stein
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den Saal schweifen. Daniel Frey ist leicht auszumachen. Er sitzt mitten im Publikumsraum, umgeben von weiblichen Kolleginnen. Seine Miene ist ernst und engagiert, er hört meiner Mutter aufmerksam zu. Plötzlich dreht er sich auf seinem Stuhl um und sieht mir direkt in die Augen.
    Hallo, Anna. Ich habe mich schon darauf gefreut, dich kennenzulernen.
    Daniel Frey ist in meinem Kopf.
    Damit habe ich nicht gerechnet. In einem Augenblick denke ich noch über meine Mutter nach, und im nächsten spricht Daniel Frey in meinem Geist. Der Schock bringt mich aus der Fassung, meine Nackenhaare sträuben sich. Ich bin schutzlos und verletzlich. Jegliche Art von Schwäche, ob aus Überraschung oder Angst, ist gefährlich. Das lernt man als Vampir sehr schnell.
    Ich verschließe ihm meine Gedanken, aber sicher nicht schnell genug, um zu verhindern, dass Frey mitbekommt, wie ich mich gerade fühle. Er hat sich von mir abgewandt und schaut wieder nach vorn, und sein eigener Geist ist so unzugänglich wie eine Höhle in einer mondlosen Nacht.
    Wieder zucke ich vor Schreck fast zusammen, als mir auffällt, dass ich bisher erst ein einziges Mal so vollständig aus dem Geist eines anderen ausgeschlossen war. Wir Vampire können unsere Gedanken voreinander verbergen, wenn wir das wollen. Aber das hier ist anders. Daniel Frey ist kein Mensch. Er ist aber auch kein Vampir.
    Er ist wie Culebra.
    Und ich weiß nicht, was das ist.

Kapitel 8
    A ls die Kollegiumsversammlung vorbei ist und sich der Theatersaal allmählich leert, bleibe ich ganz hinten.Frey steht auf, um seine Kollegen vorbeizulassen, die der Tür zustreben. Er bleibt stehen. Sein Outfit sieht nach teuren Designerklamotten aus – sommerliche Nadelstreifenhose aus leichtem Wollstoff, himbeerfarbener Pullover mit einem gestreiften Hemd darunter, ein schwarzer Ledermantel, der bis zur Mitte der Oberschenkel fällt. Diese Sachen hat er nicht vom Gehalt eines Lehrers gekauft.
    Meine Mutter, die als Letzte die Bühne verlässt, kommt auf mich zu. Frey folgt ihr. Er hat mir keinen weiteren Gedanken geschickt oder versucht, in meinen zu lesen.
    Mom sieht Frey an. »Guten Morgen, Daniel.« Dann wendet sie sich mir zu. »Ich gehe zurück ins Büro. Kommst du mit, Anna?«
    Frey hält meine Aufmerksamkeit gefesselt, nicht mit seinen Gedanken, sondern mit seinem Lächeln. Es ist neugierig und zugleich reserviert.
    Ich schüttele den Kopf und sage zu Mom: »Nein, geh du schon mal. Ich möchte Mr. Frey ein paar Fragen stellen.«
    Freys Miene verändert sich, sein Lächeln wirkt nun besorgt. Er spricht mich an, und seine Stimme klingt samtig und glatt wie eine Rosenblüte. »Ich bin froh, dass Sie heute hier sind, um Ihrer Mutter zu helfen. Ich sage Ihnen gern alles, was ich über Barbara weiß, aber ich fürchte, das ist nicht viel. Sie war nicht bei mir im Unterricht. Wollen wir uns vielleicht in meinem Klassenzimmer unterhalten?«
    Ich nicke, und Mom verlässt uns mit einem verstohlenen Blick. Als Frey ihr den Rücken zukehrt, formt sie mit den Lippen die Worte: »Sei vorsichtig.«
    Stumm erwidere ich: »Keine Sorge.«
    Das ist nicht notwendig, weißt du?
    Freys Stimme. Diesmal erschrecke ich nicht ganz so heftig, doch das ist eine erneute Erinnerung daran, dass ich meine Gedanken sorgfältiger bewachen muss.
    Sofern das bei einem Wesen wie Frey überhaupt möglich ist.
    Ich folge ihm einen Fußweg entlang vom Theatersaal zu seinem Klassenzimmer. Es liegt an der Ecke des nächsten Gebäudes, neben dem Schülerparkplatz. Er öffnet die Tür und lässt mich vorangehen.
    Die Englischklassenzimmer, an die ich mich aus meinen Zeiten als Highschool-Lehrerin erinnere, waren meist langweilig grau gestrichen und mit Porträts von Schriftstellern und Pinnwänden geschmückt, an denen sich bunte Zitate und Zeitungsausschnitte drängten. Freys Unterrichtsraum ist blassgelb gestrichen, und es gibt weder Pinnwände noch Porträts. An den Wänden hängt nichts, nur ein winziger, gerahmter Spruch. Ein Mensch hätte sehr nahe herangehen müssen, um die Schrift lesen zu können. Da ich nicht mehr so tun muss, als sei ich ein Mensch, lese ich das Schild von der Tür aus.
    »Das Leben ist vielleicht nicht die Party, die wir uns erhofft hatten … aber da wir nun schon mal hier sind, können wir auch tanzen.«
    Ich werfe Frey mit hochgezogenen Brauen einen Blick zu. Interessante Philosophie. Wer hat sich das ausgedacht?
    Er zuckt mit den Schultern. Weiß ich nicht. Jemand hat es mir in einer E-Mail

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