Lockruf des Blutes
auf der anderen an der Hauptstraße von Mission Beach, dem Mission Boulevard. Mein Häuschen, ein Geschenk meiner verstorbenen Großeltern, war das letzte der originalen Strandhäuser in der Straße – bis es vor zwei Monaten niederbrannte. Mein Nachbar wohnt in der Sorte architektonischem Monstrum, die neues Geld anscheinend so liebt, einem riesigen Gipsputz-Block, der sich auf seinem winzigen Grundstück drei Stockwerke hoch auftürmt. Als ich beschlossen habe, mein Haus wieder aufzubauen, habe ich seinen Architekten beauftragt. Ich hatte es eilig, ich wollte mein Zuhause wiederhaben, und obwohl ich nicht sicher war, ob der Kerl so ganz die richtige Entscheidung war, hat er mich wirklich überrascht. Es stellte sich heraus, dass er die Zuckerguss-Optik vieler neuer Häuser genauso scheußlich findet wie ich. Er war hocherfreut, einmal etwas anderes bauen zu dürfen.
Hier stehe ich also vor meinem neu eingezäunten Garten. Zur großen Enttäuschung meines Nachbarn war die einzige Veränderung, auf die ich mich bei dem Neubau eingelassen habe, ein zweites Stockwerk für mein Schlafzimmer mit einem umlaufenden Balkon. Ansonsten hat das neue, mit rot gestrichenem Holz verkleidete Häuschen den schlichten Charme des Originals vollkommen bewahrt. Und das Haus ist so klein geblieben, dass ich einen Vorgarten und eine große Terrasse hintenraus habe. Eine echte Seltenheit in dieser Gegend.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist fast vier, und von den Handwerkern ist nichts zu sehen. Sie haben wohl schon Feierabend gemacht. Ich zücke meinen Schlüssel und trete ein.
Es riecht nach frischer Farbe und frisch gesägtem Holz. Ein Blick ins Wohnzimmer bestätigt mir, dass der Dielenboden fertig ist. Das polierte Eichenholz schimmert in der Nachmittagssonne. Ich habe auch die anderen handwerklichen Besonderheiten des alten Hauses beibehalten – eingebaute Bücherregale, Fensterrahmen und Türen aus Holz.
In der Küche sind die Küchenschränke fertig aufgehängt. Der scharfe Geruch von lackiertem Holz hängt in der Luft. Zu meiner großen Freude entdecke ich eine Nachricht des Bauleiters auf der Küchentheke. »Alles fertig, Ms. Strong«, steht da. »Willkommen zu Hause.«
Ich lächle vor Freude, bis mir wieder einfällt, warum ich eigentlich hergekommen bin. Falls jemand hier herumschleicht, werde ich das herausfinden. Ich habe nicht die Absicht, mein neues Zuhause gleich wieder zu verlieren.
Zeit, oben nachzusehen. Ich lege meine Handtasche auf die Arbeitsplatte in der Küche und gehe die Treppe hinauf. Oben ist Teppich verlegt, und ich nehme verschiedenste Gerüche wahr – Klebstoff, Farbe, Wolle. Und noch etwas. Wie angewurzelt lässt mich dieser Geruch in der Tür stehen bleiben, spannt meine Muskeln an und sträubt mir das Haar im Nacken.
Ich sehe nichts Besonderes. Das neue Zimmer ist leer. Aber auf dem Teppich sind schwache Fußabdrücke zu erkennen. Die stammen nicht von Bauarbeiterstiefeln. Sondern von nackten Sohlen. Und der Geruch ist moschusartig – Haut und Haare, beides ungewaschen.
Die Fußabdrücke führen über den Teppich zu der gläsernen Schiebetür des neuen Balkons. Ich habe noch keine Vorhänge, also klare Sicht nach draußen. Da ist niemand. Aber die Balkontür ist nicht verriegelt, und als ich mich über das Geländer beuge, wird mir klar, wie leicht jemand von hier auf das Garagendach hinunterklettern und dann auf das Gras im Garten springen könnte – vor allem, wenn derjenige es eilig hätte, aus dem Haus zu verschwinden. Vom Garten gelangt man nach hinten raus in eine kleine Gasse. Ein leichter, geradezu idealer Fluchtweg.
Ich frage mich gerade, wie ich dem abhelfen könnte, als ich aus dem Augenwinkel eine leichte Bewegung wahrnehme. Es ist eine Reflektion im Seitenfenster der Garage, flüchtig, wie eine Wolke, die vor der Sonne vorüberhuscht. Aber es genügt mir. Vielleicht ist mein barfüßiger Besucher doch noch nicht gegangen.
Ich verriegle die Terrassentür und eile hinunter und nach draußen. Die Garage hat kein Fenster nach hinten, also ist es ein Leichtes, sich von der Rückseite des Hauses nach vorn zu schleichen. Ich habe am Garagentor noch keinen Sicherheitscode einprogrammiert, weil ich sie bisher nicht benutzt habe. Als ich auf den Knopf drücke und das Tor nach oben gleitet, schießt eine kleine, blonde Gestalt an mir vorbei in Richtung Hintertür zur Gasse.
So schnell sie auch sein mag, ich bin schneller. Ich packe sie mit einem Arm um die Taille und wirbele
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