Lockruf des Blutes
Kopf. Nur, wenn sie die Letzte war, die es berührt hat.
Ich habe schon die Hand in meine Tasche gesteckt, um das Foto herauszuholen. Mit einem Achselzucken schiebe ich es zurück. Na gut. Das Foto funktioniert vermutlich nicht. Aber ich besorge dir etwas anderes. Was wäre denn am besten?
Irgendetwas Persönliches. Frey wendet sich ab, um das Buch zurück ins Regal zu stellen. Abgeschnittene Fingernägel. Eine Haarsträhne.
Trishs Bürste. Carolyn hat sie gestern Abend zu meinen Eltern mitgebracht. Hat sie sie dort gelassen? Ich weiß es nicht mehr. Aber das werde ich ganz sicher feststellen.
Ich besorge dir etwas. Kann ich später wiederkommen?
Natürlich. Ich will Trish auch wiederfinden. Komm, sobald du kannst. Ich bin den ganzen Abend zu Hause.
Er begleitet mich zur Tür. Ich krame gerade ganz unten in meiner Handtasche schon mal nach dem Autoschlüssel, als mein Handy klingelt. Mit einer Hand schnappe ich mir den Schlüssel, mit der anderen das Telefon. »Hallo?«
»Anna?«
Ich erkenne Davids Stimme. »Hallo. Tut mir leid, dass ich so lang gebraucht habe. Was gibt’s?«
Er zögert nur ganz kurz, bevor er sagt: »Kannst du jetzt gleich zum Strandhaus fahren?«
Mein Herz macht einen Satz. Als er mich das letzte Mal dorthin geschickt hat, brannte mein Haus gerade bis auf die Grundmauern nieder. »O Gott. Was ist passiert?«
Er zögert erneut, und mir läuft es eiskalt den Rücken runter. »David? Was ist denn los?«
Er schnauft laut in den Hörer. »Vielleicht gar nichts. Ich habe nur gerade einen Anruf von deinem Nachbarn, dem Zahnarzt, bekommen. Er hat heute Morgen schon eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter im Büro hinterlassen, aber da er bis jetzt nichts von dir gehört hatte, hat er mich auf dem Handy angerufen. Er sagt, er hätte gestern Abend Licht im Haus gesehen. Er ist rübergegangen, aber die Haustür war verschlossen, es gab keine Hinweise auf einen Einbruch, deshalb hat er nicht die Polizei gerufen. Er meinte nur, du solltest das wissen, nach allem, was passiert ist. Wenn du möchtest, kommen Max und ich nachher mit rüber. Wir würden ja gleich hinfahren, aber wir haben alle Hände voll mit Jake zu tun.«
Als er Jakes Namen erwähnt, höre ich im Hintergrund ein Rascheln und etwas, das klingt wie »Fick dich doch«. Einen Moment lang herrscht Stille, dann ist David wieder dran. »Also, wir machen uns jetzt auf den Weg zum Polizeirevier, um ihn abzuliefern.«
Ich hänge mir die Handtasche über die Schulter. Ich brauche gar nicht erst zu fragen, warum mein Nachbar David angerufen hat und nicht mich. Er gehört zu der Sorte Männer, die Frauen als »kleine Ladys« bezeichnen. »Werdet ihr erst mal mit Jake fertig«, sage ich zu David. »Ich fahre schon raus zum Strandhaus.«
»Willst du nicht auf uns warten?«
»Nein.« Ich weiß aus Erfahrung, wie lange der Papierkram dauern kann. »Es ist bestimmt nichts weiter. Wir treffen uns später im Büro.«
Ich lege auf und drehe mich zu Frey um. »Ich muss los. Ich versuche, heute Abend wieder hierherzukommen, aber es könnte spät werden.«
Er nickt und hält mir die Haustür auf. »Ich hoffe, in deinem Haus ist alles in Ordnung.«
Er hat die Geschichte aus meinen Gedanken gelesen. Inzwischen sollte ich daran gewöhnt sein, aber es stört mich immer noch. Es ist albern und kindisch, aber ich muss den Spieß umdrehen. Ich blicke ihm direkt in die Augen, lächle und stelle mir ein Bild vor, an das ich mich von einem Ausflug in den Zoo vor ewigen Zeiten erinnere. Es stellt einen geilen alten Löwen und seine alles andere als begeisterte Käfiggenossin dar.
Ich bekomme aber nicht die gewünschte Reaktion. Frey ist alles andere als peinlich berührt. Sexuelle Energie strahlt derart stark von ihm aus, dass ich spüre, wie ich rot werde.
Lachend schließt er die Tür.
Kapitel 13
E s ist später Nachmittag, und ich habe Glück – ich erwische genau die kurze Lücke zwischen den Massen, die nach der Mittagspause aus Mission Valley rausfahren, und den Pendlern, die sich stadtauswärts wälzen. Bei freien Freeways dauert die Fahrt von Freys Wohnung nach Mission Beach etwa zwanzig Minuten. Ich brauche fünfzehn.
Ich habe fast mein ganzes Leben lang in Mission Beach gewohnt. Das Viertel ist eine eklektische Mischung aus altem, neuem und gar keinem Geld. Die Unterschiede spiegeln sich in der Architektur wider, und nirgends so offensichtlich wie da, wo ich wohne. Meine Straße, Isthmus Court, endet auf der einen Seite an der Strandpromenade,
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